Abschiebung noch vor dem Urteil

Mafia-Prozess: Angeklagter Vietnamese wurde abgeschoben. Verteidiger erstattet Anzeige gegen Staatsanwalt, der der Ausweisung zugestimmt hatte. Verurteilung wegen Mordes war unwahrscheinlich. Verteidigung wollte Freispruch

Berlins größter Mafia-Prozess wird ohne den wegen Doppelmordes angeklagten Vietnamesen Xuan D. weitergeführt. Der 37-Jährige ist vor zwei Wochen während der Sommerpause des seit Januar 1998 vor dem Landgericht geführten Prozesses gegen seinen Willen abgeschoben worden. Vor diesem Hintergrund hat sein Anwalt Henning Spangenberg den Anklagevertreter wegen Rechtsbeugung angezeigt.

In dem Prozess wegen der blutigen Kämpfe gegnerischer Gruppen der Zigarettenmafia im Jahr 1996 sind inzwischen neun Bandenmitglieder zu Haftstrafen zwischen drei und siebeneinhalb Jahren verurteilt worden. Xuan D. saß mehr als 200 Verhandlungstage mit dem mutmaßlichen Boss der berüchtigten „Ngoc-Thien-Bande“ auf der Anklagebank.

Spangenberg hat bis heute kein Lebenszeichen von seinem Mandanten. Der Anwalt befürchtet, dass Xuan D. nach seiner Ankunft in Vietnam verhaftet worden ist. Der Verteidiger ist überzeugt, dass Staatsanwalt Georg Bauer einen Freispruch für den Vietnamesen vereiteln wollte. „Das ist die Verhinderung eines gerechten Urteils“, sagte der Anwalt.

In seiner Strafanzeige wirft Spangenberg dem Ankläger eine „in hohem Maß rechtsfeindliche Haltung“ vor. Bauer habe entweder den Strafanspruch des Staates auf lebenslange Haft oder den von der Verteidigung angestrebten Freispruch durch Willkür verhindert.

Bauer wies die Anschuldigung zurück. Das Gericht habe deutlich signalisiert, dass eine Verurteilung wegen Mordes nicht erfolgen werde. Er habe der Abschiebung zugestimmt, weil eine lebenslange Haft nicht mehr durchzusetzen sei. Jetzt komme nur noch eine Strafe von zirka fünf Jahren wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung in Betracht. Eine solche Strafe sei mit der verbüßten Untersuchungshaft abgegolten.

Xuan D. hatte sämtliche Vorwürfe zurückgewiesen. Im Juni wurde er nach fast fünf Jahren Untersuchungshaft freigelassen. Anfang August kam der Vietnamese in Abschiebehaft. Kerstin Jakobiedeß, seine Anwältin in ausländerrechtlichen Verfahren, bezeichnete die Vorgänge um die Abschiebung als „skrupellos und menschlich unverständlich“. Vergeblich hatte die Rechtsanwältin versucht, die Abschiebung vor dem Verwaltungsgericht zu stoppen. Auch ein Ablehnungsgesuch gegen die Vorsitzende Richterin des Strafprozesses scheiterte. Die Richterin habe ihr persönliches Versprechen gebrochen, sich bei der Staatsanwaltschaft gegen die Abschiebung einzusetzen, empörte sich Jakobiedeß. DPA