Urlaub für den Speichenboss

Während Jan Ullrich, beim Weltcuprennen in Zürich wieder nur Zweiter, emsig versucht, noch ein paar Siege einzufahren, beendet Lance Armstrong seine Saison und schöpft Kraft für die nächste Tour

aus Zürich SEBASTIAN MOLL

Beim Team US-Postal ist wieder Normalität eingekehrt. Noch bei der Tour de France war der Mannschaftsbus eine uneinnehmbare Festung, weiträumig mit rotem Absperrband umwehrt und von muskelbepackten Bodyguards gesichert. Vier Wochen danach ist davon nichts mehr zu sehen. Auch Commander Lance Armstrong persönlich, in Frankreich noch entrückt wie Madonna oder Michael Jackson, war beim Weltcuprennen in Zürich leutselig wie selten. Geduldig gab der dreifache Tour-de-France-Champion Autogramme und ließ sich gelassen von den Reportern belagern.

Direkt und unumwunden gab er bekannt, dass dies sein letztes Saisonrennen in Europa sein werde. Noch am Abend wolle er nach Hause nach Texas zu seiner hochschwangeren Frau fahren. Was das Rennen des Tages anbetreffe, gab er zu verstehen, dass es bei der Hitze doch sehr schwierig werde, nach jeder Runde der Verlockung der kühlenden Duschen zu widerstehen. Nicht ein einziges Mal widerstand Armstrong der Versuchung, gleich nach der ersten von sechs Runden durch die Hügel rund um den Zürichsee stieg er aus dem Sattel. Das war’s für dieses Jahr.

Das Tagwerk von Armstrongs härtestem Widersacher in Frankreich, Jan Ullrich, hatte zu diesem Zeitpunkt erst begonnen. Noch 200 von 248 Kilometern des im Volksmunde „Züri-Metzgete“ (die Metzgerei von Zürich) genannten Weltpokals hatte Ullrich vor sich, und er brannte auf den Sieg. Nicht nur war Ullrich hier schon zweimal, 1997 und 2000, Zweiter geworden, es fehlte ihm zudem noch sein erster Saisonsieg auf internationaler Bühne. Bei vier Tour-Etappen war Ullrich Zweiter geworden, ebenso wie im Gesamtklassement. Gewonnen hat er bislang nur die Deutsche Meisterschaft.

Doch es wurde wieder nichts. Er dominierte zwar das Rennen, auf der Zielgeraden musste er sich jedoch vom Italiener Paolo Bettini im Sprint düpieren lassen. So geht für Ullrich die Jagd nach dem ersten Saisonerfolg weiter. Während Armstrong in der Heimat die Freuden des Familiendaseins genießt, muss der Deutsche nachsitzen. Die Gelegenheiten, die Saisonbilanz aufzupolieren, werden immer rarer. Bei der Rheinland-Pfalz-Rundfahrt im September tritt Ullrich an und bei einigen kleineren Rennen in Italien. Einen wirklich großen Sieg kann er jedoch nur bei der Weltmeisterschaft in Portugal im Oktober landen.

Die große Frage ist, ob Ullrich seine für die Tour de France aufgebaute Form bis dahin noch halten kann. Selbst der Sportdirektor des Team Telekom, Rudy Pevenage, ist da skeptisch. Viel zu spät, findet er, sei die WM anberaumt, da seien diejenigen im Vorteil, die vorher die Spanien-Rundfahrt bestreiten. Leute wie Ullrich, deren Planungsschwerpunkt die erste Saisonhälfte mit der Italien-Rundfahrt und der Tour de France sei, wären da deutlich benachteiligt.

Aus demselben Grund hat Armstrong die WM aus seinem Terminkalender gestrichen. „Wenn man sich monatelang auf eine Sache wie die Tour konzentriert, ist danach die Luft einfach raus.“ Unmittelbar nach seinem Triumph in Paris war Armstrong nach Amerika gereist, um zwei Wochen lang etwas für seine Popularität in der Heimat zu tun: Talkshows, Empfänge, Pressetermine. Danach hatte er versucht, noch einmal Tritt zu fassen, bei der Burgos-Rundfahrt in Spanien. Eine Quälerei sei das gewesen, deshalb habe er beschlossen, die Segel zu streichen.

Nicht alle in Armstrongs Mannschaft waren glücklich über die Urlaubsplanung des Chefs. Eigentlich hatte Armstrong dem Spanier Roberto Heras, der zu Jahresbeginn bei Postal unterschrieben hatte, zugesagt, ihm im Gegenzug für die Unterstützung während der Tour bei dem Versuch zu helfen, zum zweiten Mal in Folge die Spanien-Rundfahrt im September zu gewinnen. Armstrong bleibt nun seinen Teil schuldig: „Ich hätte Roberto gerne geholfen, aber jeder wird verstehen, dass ich meinen Urlaub brauche.“

Natürlich wird bei Postal niemand wagen, den Chef zu kritisieren, solange er die Tour gewinnt. Mit der Vorbereitung auf seinen vierten Tour-Sieg möchte Armstrong schon im November beginnen. Im November ist Jan Ullrich vermutlich gerade erst damit fertig, seine Saisonbilanz 2001 aufzubessern.