16 AFGHANISCHE GEFANGENE WERDEN FÜR 8 WESTLER GEOPFERT
: Ominöser Tausch

Drei Wochen lang hat es gedauert, bis die Taliban endlich gestatteten, dass das Rote Kreuz acht gefangene Mitarbeiter der Hilfsorganisation „Shelter Now International“ in Kabul besucht. Sie hätten sich sehr gefreut, resümierte ein Delegierter der Genfer Organisation hinterher. Zwischen den Zeilen konnte man lesen, dass Haftumstände und Gesundheitszustand der vier Deutschen, zwei Amerikanerinnen und zwei Australier zufrieden stellend sind.

Von den sechzehn mitgefangenen Afghanen ist derweil nicht die Rede. In der Hoffnung, die acht Ausländer bald freizubekommen, droht die internationale Öffentlichkeit sie zu vergessen. Niemand fragt, wo sie gefangen gehalten werden, niemand weiß, wie es ihnen geht. Sie haben kein Außenministerium mit konsularischem Schutz und Diplomaten auf Außenposten; internationale Rechtshilfe ist ihnen ebenso verwehrt wie Nachrichten ihrer Familien oder eine ärztliche Untersuchung. Als Afghanen sind sie allein dem eigenen Staat unterstellt, und man kann sich vorstellen, was ihren Angehörigen passieren würde, falls sie sich nach dem Wohl der Gefangenen erkundigen wollten.

Dabei sind es diese sechzehn, die am meisten um ihr Leben fürchten müssen. Die Taliban werfen den 24 „Shelter Now“-Mitarbeitern vor, unter dem Vorwand der Entwicklungshilfe missioniert zu haben, nachdem die zwei Amerikanerinnen vor drei Wochen dabei ertappt wurden, wie sie einer afghanischen Familie ein Video über die Geburt Christi vorspielten. Auf Christianisierung steht, seitdem der Taliban-Chef Mullah Omar dies in einem Dekret verfügt hat, für Ausländer die Ausweisung. Afghanen erwartet die Todesstrafe.

Dass die sechzehn Afghanen in der Aufregung um das Wohl der acht Ausländer unerwähnt und namenlos bleiben, ist ominös. Es lässt befürchten, dass das Rote Kreuz und Shelter Now, das deutsche Außenamt wie das amerikanische State Department sich still verhalten, weil sie die Taliban nicht reizen wollen – zumindest nicht, solange die eigenen Landsleute noch in Kabul sind.

Dabei hat zumindest die Hilfsorganisation die Pflicht, sich ihres lokalen Personals anzunehmen, und sei es nur aus arbeitsrechtlichen Gründen. „Shelter Now“ hat aber auch die moralische Verantwortung, sich zum Schicksal ihrer sechzehn Mitstreiter zu bekennen. Denn wenn man schon meint, dass die christliche Botschaft alle Grenzen überschreitet, dann schließt dies auch die humanitäre Verpflichtung ein, sich für jene einzusetzen, denen man diese Botschaft gebracht hat – und die nun dafür ihrem Todesurteil entgegensehen.

BERNARD IMHASLY