Haitis Opposition soll verschwinden

Nachdem die Umarmungsstrategie von Präsident Aristide fehlgeschlagen ist, wandern seine Gegner in den Knast

SAN SALVADOR taz ■ Jean-Bertrand Aristide war schon immer ein Populist. Zunächst ein linker, jetzt nur noch ein korrupter und machtbesessener. In Haiti hat er das ideale Umfeld: Mehr als 80 Prozent der Bevölkerung sind ungebildet, leben in Armut und Elend und sehen in ihrem Präsidenten noch immer den Heilsbringer, der sie von der Duvalier-Diktatur befreit hat. Was böte sich da mehr an, als mit Volksreden übers Radio zu regieren und die Opposition einfach zu ignorieren? Zumal diese nur aus 15 Kleinparteien ohne nennenswerte Anhängerschaft besteht.

Doch so unbedeutend die in der „Convergence Democratique“ zusammengeschlossenen Parteien in Haiti sein mögen, sie stören doch. Nach der Senats- und Parlamentswahl vom Mai vergangenen Jahres und der Präsidentschaftswahl im November darauf riefen sie laut und zu Recht „Betrug“. Die Volksbewegung Lavalas und ihr Kandidat Aristide hatten nach offizieller Lesart zwar haushoch gewonnen. Aber international betrachtet nützte das nichts. Mehr als eine Milliarde Mark bereits zugesagter Hilfsgelder bleiben eingefroren.

In der Logik von Lavalas ist nicht die Regierung schuld an der Hilfsgeld-Blockade, sondern die Opposition. Also muss sie verschwinden. In der vergangenen Woche wurde der Parteisitz der „Sammlung für die demokratische Einheit“ in der Hauptstadt Port-au-Prince von der Polizei durchsucht. Fünf Politiker wurden festgenommen. Angeblich sollen in dem Büro Waffen gefunden worden sein. Polizeisprecher Jean-Dady Simeon: „Der Parteisitz ist wie das Lager einer Bande von Kriminellen.“

Oppositionssprecher Paul Evans, einst Bürgermeister von Port-au-Prince und ein Verbündeter von Aristide, nennt den Vorwurf des illegalen Waffenbesitzes ein „Theater, mit dem die Repression der Regierung maskiert werden soll“. Denn die Festnahmen der vergangenen Woche sind nicht die ersten. Nachdem eine Gruppe ehemaliger Militärs Ende Juli drei Polizeistationen überfallen und dabei fünf Polizisten getötet hatte, waren schon einmal 15 Oppositionspolitiker in den Knast gewandert. Sechs von ihnen sind immer noch dort.

Ob sie etwas mit den Überfällen zu tun haben, ist völlig unklar. Möglich ist es: Teile der Opposition liebäugeln mit der Wiedereinführung der Armee, die Aristide am Ende seiner ersten Amtszeit aufgelöst hatte. Eine unabhängige Institution wäre ihnen immer noch lieber als die Aristide-treue Polizei, die den Schlägertrupps von Lavalas freie Hand lässt. Auch mit den Überfällen auf die Polizeistationen hatten die Täter die Wiedereinführung der Armee gefordert.

Doch Aristide setzt nicht nur auf Konfrontation. Zuvor verfolgte er einen Schmusekurs. Nachdem das Umarmungsangebot einer Regierungsbeteiligung ausgeschlagen worden war, hatten sich Lavalas und Opposition Mitte Juli immerhin auf teilweise Neuwahlen geeinigt. Nur der Termin war noch umstritten. Es sah schon nach einer Lösung der Dauerkrise aus. Doch dann kamen die Überfälle auf die Polizeistationen und danach die erste Verhaftungswelle. Seither sind die Gespräche ausgesetzt.TONI KEPPELER