Nüchterne Ufer

Ikonen des Post-Grunge: Die „Stone Temple Pilots“ in der Großen Freiheit  ■ Von Volker Peschel

„Meine Erfolge und mein Scheitern scheinen überlebensgroß zu sein.“ So ausgenüchtert bilanziert Scott Weiland, schillernder Kopf der Stone Temple Pilots die bewegten letzten Jahre. Überdosis, Gefängnis, Entzug. Das liebe Heroin hätte nahezu die Karriere der Band und sein Leben beendet. Doch die Zeit scheint überstanden zu sein für den exzentrischen Sänger, denn mit klarem Kopf und neuer Kraft haben die einstigen Grunge-Ikonen ihr fünftes Album Shangri-La Dee Da fertig gestellt. Und stürzen sich wieder munter in das einst so verhängnisvolle Tourleben.

Die alte Stärke scheinen sie wieder finden zu wollen: Ihre Shows waren stets der größte Trumpf im glamourösen Ärmel der Band. In Lack und Leder waren sie weit jenseits des biederen Karohemden-Looks ihrer Rivalen Pearl Jam. Es war das Jahr 1992, Seattle war kurzfristig zur Drehscheibe des Rock geworden und jene beiden Bands hatten ihre Debütalben auf dem Markt: Core betitelten die Piloten das ihre und durften sich ungeliebte Vergleiche anhören. Der Gesang, die Melodien, schlicht: die Musik nur zu gerne wurden sie in die zweite Liga eingeordnet, hinter den großen Nirvana und als Kopie von Pearl Jam. Die Vergleiche waren so absurd wie penetrant und erst mit dem Nachfolge-Album Purple konnten sie sich freischwimmen und die Plagiats-Vorwürfe beenden.

Glamouröser wurde ihr Lebensstil, die Konzerte optisch greller und arroganter. Da war der 93er Auftritt im New Yorker Roseland Ballroom mit den Pilots in Kiss- ähnlicher Vollverkleidung. Und Scott Weiland hatte – angeblich – zum ersten Mal Heroin genommen. „Ich wurde zum kompletten Arschloch“, denkt er heute zurück. Die Band feierte, verkaufte Millionen von Alben und erreichte den Zenit des Rockstartums. Danach ging es rasant abwärts. Ihr Sänger fand zunehmend Gefallen an der Nadel und hatte erste Aussetzer. Konzerte mussten abgesagt werden, er kollabierte. Stress kam auf in der Band, die zunehmend gereizt auf Scott reagierte. Dieser versuchte den Entzug, flüchtet jedoch aus den Heimen.

Wegen Heroinbesitzes wurde er 1995 verhaftet, zwei Jahre später erneut und dabei auf Bewährung verurteilt. Das Katz- und Mausspiel begann. Wiederholt verletzte er seine Auflagen, etwa während der Tour zu seinem Soloalbum 12 Bar Blues, wo er erneut in der Zelle erwachte; oder im Juli 1999, als er sich eine Überdosis setzte. Von einem Gericht in Los Angeles County wurde Scott Weiland endgültig verurteilt: ein Jahr Gefängnis. Der ansonsten übliche Promi-Bonus, der Kollegen wie Eminem und die zugekokste Hollywood-Garde oftmals vor Konsequenzen bewahrt, griff bei dem abgehalfterten Ex-Rockstar nicht. Als Häftling 615 87 35 saß er in seiner Einzelzelle. Elf Millionen Alben verkauft und nun Mühe, sich nicht umzubringen in der Trostlosigkeit des Men's Central Jail in Downtown Los Angeles, so erzählte er später. Ein Zellennachbar erkannte den Prominenten und freute sich über Autogramme für den heimischen Familienclan. Im Gegenzug bot er Weiland Drogen an: Heroin, Speed. Der lehnte ab: „Wenn ich Gott in dieser Situation um Hilfe bitte, kann ich ihm nicht ins Gesicht spucken.“ Er ließ sich einen Bart wachsen, „mein Soft Parade-Look“, und wurde fett. Es folgten ein paar Monate Entziehungsanstalt. Dann war er ein freier Mann, mit so charmanten Auflagen wie regelmäßigen Drogentests.

Die Entlassung wurde zum Schnitt. Mit seiner Frau Mary Frosberg wurde er auf Designershows in New York gesichtet, und er stürzte sich in die Arbeit mit den Stone Temple Pilots, trotzig, da ihn die Medien bereits als Sänger abgeschrieben hatten. Von ärztlicher Seite wurde ihm offiziell eine psychische Krankheit attestiert, er verweigerte jedoch die Medikation, um den Kopf frei zu haben für neue Songs.

Seit zwei Jahren ist er nun clean. Der Dank: Ein smartes Familienleben (mit einjährigem Sohn Noah) und ein neues Album.

Dessen Live-Qualitäten haben die Pilots in Toronto auf einem Parkplatz getestet. Straßen mussten gesperrt werden, Tausende versuchten einen Blick auf den überfüllten Platz zu werfen, standen auf Häuserdächern und sahen einen derwischähnlich tanzenden Scott Weiland: freier Oberkörper und Latexhandschuhe. Die kanadische Flagge wickelte er sich als Sarong um, zog sich darunter aus und ließ sie sich von Gitarrist DeLeo runterreißen. Sie schillern wieder live, auch mit nüchternem Kopf. Zwei Gigs spielen die Stone Temple Pilots nun in Deutschland, danach folgt die Family Values-Tour mit ihnen als Headliner. Reanimierte Altstars neben jungen Charts-Hüpfern. Werden sie also noch einmal hip, die abgestürzten Heroen von einst?

heute, 20 Uhr, Große Freiheit