Schavans Schulausfall

In Baden-Württemberg gibt es Krach um Unterrichtsausfälle. SPD und GEW werfen Kultusministerin Schavan vor, zu wenig für die Schulen zu tun. Wie viele Neulehrer und wie viel Schulschwund gibt es?

Das Motto von Kultuschefin Schavan: „Wenn es brennt, wird gelöscht“.

aus Stuttgart HEIDE PLATEN

Die Schultüten sind gekauft, die bunten Ranzen stehen bereit. Kommende Woche enden die Sommerferien in Baden-Württemberg, und die Schüler sind darauf zum Beginn des neuen Schuljahres auch bestens gerüstet – nicht aber Kultusministerin Annette Schavan (CDU). Ausgerechnet die derzeitige Vorsitzende der Kultusministerkonferenz muss sich vorhalten lassen, Engpässe bei der Neueinstellung von LehrerInnen zuzulassen. Dieser Ansicht ist nicht allein die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Über 5.000 neue Lehrer hatte Schavan den Wählern im Frühjahr versprochen. Aber nur die Einstellung von 150 Pädagogen, so die Opposition im Stuttgarter Landtag, habe die mit guten Ratschlägen sonst nicht sparsame Kultusministerin beschließen lassen.

Damit ist ein Dauerthema im Südwesten wieder auf der Tagesordnung: der Unterrichtsaufall. Die GEW, eine Reihe von Sozialdemokraten und viele Eltern befürchten erheblichen Stundenausfall im neuen Schuljahr. Realistische Zahlen über Schulstunden ohne Lehrkraft sind allerdings von keinem der Beteiligten zu bekommen. Rund 7 Prozent des Unterrichts falle aus, sagen die Kritiker Schavans. Die Ministerin selber lässt hin und wieder die Schulverlässlichkeit testen – stichprobenartig. Sie kommt dabei nur auf rund 3 Prozent Schulschwund. Die Opposition spricht daher von Trickserei mit dem Schulausfall.

GEW-Landesvorsitzender Rainer Dahlem weiß, warum auch die Schulen im reichen Südwesten wieder in die Bredouille gekommen sind. Dahlem wirft der Kultusministerin vor, während des Landtagswahlkampfs 2001 viel zu viel Geld für befristete Stellen verpulvert zu haben. Damit habe sie den Lehrermangel im Land zwar öffentlichkeitswirksam bekämpft – aber eben nur kurzfristig. Jetzt reiche das Geld nicht mehr aus, die befristeten Verträge zu verlängern.

Die junge SPD-Kandidatin Ute Vogt hatte vor der Landtagswahl im März dieses Jahres die Bildungspolitik zu ihrem zentralen Thema gemacht – und unter anderem die Einstellung von 1.000 neuen Lehrern versprochen. Die Landesregierung und Annette Schavan mussten darauf sofort reagieren. Sie versprachen eine sofortige Erhöhung der Mittel und 5.500 zusätzliche Lehrer.

GEW-Chef Dahlem kritisiert, dass selbst die realisierten Kurzfristjobs für JunglehrerInnen wenig attraktiv gewesen seien. Viele hätten sich deshalb inzwischen anders orientiert – in andere Bundesländer oder in Privatschulen. Für LehrerInnen in spe sei es nicht zumutbar, beim Auslaufen der Fristverträge nicht zu wissen, ob diese verlängert werden könnten. Außerdem hätten die Verträge für die Sommerferien gar nicht gegolten. Das heißt: Die Teilzeitpauker mussten sich den Sommer über andere Jobs suchen, so Dahlem, „um ihre Miete bezahlen zu können“.

Schavan lässt ihr Kultusministerium alle Vorwürfe als falsch zurückweisen. Insgesamt hätten für Verträge von Springern und Krankheitsvertretungen in diesem Jahr im Etat 96 Millionen Mark zur Verfügung gestanden. Davon seien noch immer 33 Millionen übrig. Das werde für die restlichen dreieinhalb Monate Schulzeit ausreichen. Auch einige für die Einstellungen zuständige Oberschulämter sprangen Schavan zu Hilfe und bestätigten diese Einschätzung. Das Budget für Krankheitsvertretungen sei noch einmal aufgestockt worden. Insgesamt seien, verkündete Ministerin Schavan im Juni, bereits 940 Neustellen geschaffen, 660 Springer engagiert und für die kommenden Jahre geplante Einstellungen vorgezogen worden.

Doch während die Ministerin verkündete, man werde sich bemühen, Lehrkräften mit Zeitverträgen schnell Bescheid zu geben, und alles solle bis zum Schulbeginn unter Dach und Fach sein, hat die Elternschaft andere Erfahrungen gemacht. Von der SPD in den Landtag eingeladene Eltern kommen stets zu dem gleichen Befund: An den Schulen fällt der Unterricht regelmäßig aus. Dass das der Fall ist, bezweifelt niemand, bloß wie oft, ist ungewiss. Die Ministerin hat nun erneut Aufklärung versprochen: Kommende Woche will sie nachweisen, dass alles in Butter ist in ihren Schulen.

GEW und Opposition monieren die schleppende Umsetzung der Wahlversprechen. In einer turbulenten Landtagsdebatte schon im Juli nannte die SPD Schavan eine „Märchentante“ und warf ihr „Realitätsverlust“ vor. Alles gehe viel zu langsam und zu bürokratisch voran. In Berufsschulen, an Gymnasien und vor allem im Sonderschulbereich gebe es gravierende Defizite, weil die Ministerin „Einstellungen auf Vorrat“ versäumt habe. Schavan rechnete dagegen vor, dass an den Grund- und Hauptschulen trotz sinkender Schülerzahlen 135 Lehrer zusätzlich eingestellt worden seien und für die in diesem Jahr um 6.000 gestiegene Schülerzahl an den Gymnasien 300 neue Stellen geschaffen würden. Und die Zahl der Schüler an den Berufsschulen könne erst im Herbst ermittelt werden, da erst dann feststehe, wie viele Auszubildende die Betriebe in Baden-Württemberg einstellen werden. „Wenn es brennt“, so fasste Schavan ihr Motto zusammen, „wird gelöscht.“

Gerade diese Haltung aber warfen ihr Grüne und SPD vor. Sie reagiere nicht schnell genug. Vier Stuttgarter SPD-Landtagsabgeordnete haben sich jetzt eine publikumswirksame Methode einfallen lassen, um die Ministerin unter Druck zu setzen. In Stuttgart richteten sie eine Hotline zum Unterrichtsausfall ein, bei der Beschwerden von Eltern und Schülern gesammelt werden. Annette Schavan, so die Politiker, habe die Situation im Landtag „schöngeredet“ und sehe der absehbaren weiteren Verschlechterung der Unterrichtsversorgung in Wirklichkeit „tatenlos zu“. 5.500 Neueinstellungen habe sie für diese Legislaturperiode versprochen. Zum Schuljahresbeginn habe das Kabinett aber tatsächlich nur 150 feste neue Stellen beschlossen. Dies sei „blanker Hohn“. Die SPD will am Ball bleiben und bei der Beratung des Nachtragshaushaltes 1.100 zusätzliche Stellen beantragen. Die Finanzierungsvorschläge will sie gleich mitliefern.