Betr.: Pago Balke und Eike Besuden

Eike Besuden war Moderator von „buten un binnen“, ist jetzt Dokumentarfilmer und hat unter anderem die großen Blaumeier-Produktionen gefilmt. Pago Balke hat 10 Jahre als Regisseur in Blaumeier-Theaterprojekten gearbeitet. „Siehste“ realisieren sie als Regie-Duo.

taz: Ihr seid mitten im Dreh. Wie geht es Euch?

Pago Balke: Seit vier Jahren sind wir an der Geschichte dran und schreiben das Buch. Jetzt sind auf einmal ganz viele Menschen dabei, das umzusetzen, was wir uns an irgendeinem Tisch bei einer Tasse Tee ausgedacht haben. Wenn Figuren lebendig werden, das ist wirklich verrückt – manchmal bin ich ganz euphorisiert.

Ist Euer Film eine Abrechnung mit dem Heimwesen?

Pago: Es gibt in Deutschland noch unglaublich viele „Versorgungsanstalten“. Die sind zwar manchmal wunderschön in Parks gelegen, bleiben aber Ghettos. Die Bewohner können oft unglaublich viel, aber diese Schwelle wird nicht ausgereizt.

Aber: Wir machen diesen Film nicht in erster Linie mit einem moralischen oder politischen Impetus, es geht auch nicht darum: Jetzt zeigen wir's den Institutionen. Die Zuschauer sollen einfach den besonderen Charme, die Ausstrahlung und den Witz der Drei erleben – und das auf einer wichtigen kulturellen Ebene – im Spielfilm .

Wie ist die Besetzung zustande gekommen?

Pago: Wir haben diese drei ausgewählt, weil sie seit vielen Jahren Schauspieler bei Blaumeier sind. Und sie funktionieren als Trio zusammen: Wolfgang Göttsch und Paula Kleine haben zusammen im Blaumeier-Faust gespielt, bei „Grindkopf“ war dann auch Frank Grabski dabei.

Eike Besuden: Bekannte professionelle Schauspieler mit großen Namen haben wir dazu genommen, weil wir den Film aus der Off-Szene heraushaben möchten.

Und wie klappt das Zusammenspiel der „Normal-Profis“ mit ihren ungewohnten KollegInnen?

Pago: Letztere sind authentisch, während ein Schauspieler seine Authentizität auf der Leinwand erstmal herstellen muss. Selbst Dominique Horwitz hatte am Anfang richtig Probleme, gegen sie in Sachen Präsenz nicht abzuschmieren. Dominique ist natürlich ein großartiger Schauspieler, der das letztlich wunderbar hinkriegt.

Ihr sagt deutlich, dass Wolfgang Göttsch, Paula Kleine und Frank Grabski nicht in einer „Funktion“ „als Behinderte“, sondern als individuelle Personen auf der Leinwand sind. Spielen sie dabei Rollen oder sich selbst?

Eike: Ihre Rollen haben natürlich mehr mit ihren Personen zu tun als das zum Beispiel bei Martin Lüttge als bösem Heimleiter Kollakowski der Fall ist. Aber ganz klar: Sie spielen Karl, Hilde und Philip, das halten sie auch selbst sehr auseinander.

Was ändert sich denn, wenn man als Theaterregisseur auf einmal Film macht?

Pago: Da hängt viel Kohle dran, das ist so eine große Produktion, dass mir manchmal die Ohren schlackern – das ist natürlich ein viel größerer Druck als bei den Blaumeier-Produktionen. Ich weiß noch nicht genau, was ich lieber mag. Ein Stück, das man auf der Bühne im Fluss spielt, wird hier unheimlich zerhackt und zergliedert. Die Szenen 1 und 134 werden zusammen gedreht, das muss man den Schauspielern erstmal klar machen. Aber wenn ich die Bilder sehe, die wir gemacht haben, denke ich manchmal, wir setzen Zeichen: Wir zeigen diese Leute in einer Nähe, die man im Theater nicht unbedingt hat.

Drehtage sind sehr teuer, da muss alles möglichst reibungslos klappen. Beißt sich so ein Leis-tungsanspruch nicht mit der Idee Eures Projekts?

Pago: Mit 33 Drehtagen haben wir – gemessen an Kinoansprüchen, und die hat unser Kameramann in höchstem Maß – in der Tat einen sehr engen Zeitplan. Manchmal gibt es Stolperschwellen, wo man sich fragt, warum kann er denn jetzt diesen einen Satz, nur diese eine Zeile nicht einfach mal abliefern – aber das gibt's auch bei den normalen Darstellern.

Eike: Tage, an denen wir nur mit „Promis“ drehen, können unseren Zeitplan genauso durcheinander bringen.

Pago: Unsere Leute haben ihre Ecken, wo sie total fit sind und andere Sachen, wo es Ängste gibt. Während eines Drehs in Köln hat Wolfgang Göttsch einen Koller gekriegt, weil er auf den breiten Treppen zum Rheinufer Angst hatte, runter zu fallen. Er hatte Angst, weil er sich nicht immer im Griff hat. Aber es ergeben sich auch viele spontane schöne Sachen.

Zum Beispiel?

Eike: Wir sitzen zusammen am Tisch über dem Drehbuch, irgendwann hat Frank Grabski was in der Nase, niest, und Paula ruft „Hand vor den Mund!“ Uns gefriert das Blut in den Adern, denn das kann er natürlich nicht, er ist ja contergangeschädigt. Und die beiden gu-cken sich an und brechen in ein brüllendes Gelächter aus – das ist natürlich eine unglaubliche Situation, die sofort ins Buch gekommen ist.

Was für eine Musik wird in Eurem Film spielen?

Eike: Wir haben mit einem halben Dutzend Komponisten gesprochen, und uns dann für Karsten Gundermann entschieden

Pago: Er ist der bisher einzige Europäer, der eine Pekingoper geschrieben hat. Wenn er wagemutig genug war, das hinzukriegen, kann er auch an unserem Projekt nicht scheitern.

Wie kriegt Ihr das Geld für die Produktion zusammen?

Eike: Es ist schwierig. Acht Wochen vor Drehbeginn hat unser französischer Partner erklärt, dass er seinen Teil – 700.000 Mark – nicht aufbringen kann. Und die eingeplante EU-Förderung für binationale Projekte gibt es nur, wenn die Arbeit noch nicht begonnen hat. Das wären nochmal 400.000 Mark gewesen.

Wie kann es denn sein, dass ein Partner so kurzfristig abspringt?

Er hat bis zuletzt versucht, in Frankreich Leute zu überzeugen, Geld in diese Produktion zu investieren. Jetzt wird es schwer, jemanden zu finden, der in einen laufenden Dreh einsteigt. Zum Glück bekommen wir Unterstützung durch private Spender – bis jetzt schon 50.000 Mark . Interview: Henning Bleyl