Filmstarts à la carte
: Das absolute Rot

„Domicile conjugal“ (also in etwa „eheliche Wohnung“), das klingt doch ganz so, als ob sich François Truffauts ewiges Alter Ego Antoine Doinel (Jean-Pierre Léaud) nach all seinen Eskapaden und hochfliegenden Träumen nunmehr ganz bodenständig in seinem Leben eingerichtet habe. Die Musiklehrerin Christine (Claude Jade), die man bereits aus „Geraubte Küsse“ kennt, hat Antoine geheiratet, ein Baby ist unterwegs, und die Wohnung wird vergrößert. Doch schon wenn man Antoine zum ersten Mal sieht, wie er im Hinterhof für den Laden an der Ecke Blumen einfärbt, dann weiß man, dass sich nichts wirklich verändert hat. Denn selbstverständlich koloriert Antoine nicht einfach nur Blumen - er befindet sich auf der Suche nach dem absoluten Rot. Und natürlich schreibt er nebenbei an einem epochalen Roman - über sich selbst. Wobei ein hilfreicher Nachbar den Titel „Ohne Pauken und Trompeten“ vorschlägt. Und selbstredend schweifen die Blicke von Antoine, der sich mit dem alltäglich Vertrauten nicht zu arrangieren vermag, schon bald von der Ehefrau ab und fallen auf die hübsche Japanerin Kyoko - die ihn indes bald genauso langweilt. Vierzehn Jahre alt war Jean-Pierre Léaud, als Truffaut ihn 1959 erstmals als Antoine Doinel in „Sie küßten und sie schlugen ihn“ besetzte. Vom frühreifen Kleinkriminellen mit der unglücklichen Kindheit wuchs Doinel in einem Kurz- und drei weiteren Spielfilmen zu einem liebenswerten Filou heran - entsprechend unbeschwerter wurde die Tonart der Filme. „Domicile conjugal“ (1970) darf zweifellos als der verspielteste gelten - dafür sorgen schon allein die Gags um die skurrilen Nachbarn und Antoines Job in einer hydraulischen Versuchsanstalt, wo er den ganzen Tag ferngelenkte Modellschiffe bewegen darf. Und ein vorläufiges Happy End gibt es auch.

„Domicile conjugal - Tisch und Bett“ 3. 9. - 5. 9. im Lichtblick

Ganz und gar nicht verspielt ist hingegen die Komik von Jacques Tati, die einer ungemein scharfen Beobachtung eines mechanisierten Alltags und dem unfreiwillig anarchischen Kampf seines Protagonisten M. Hulot gegen die Effizienz, die dieser schönen neuen Welt entspringt. In „Trafic“ setzt Tati gleich zu Beginn Bilder von der präzisen, aber unpersönlichen Arbeit in der Montagehalle einer Autofabrik gegen Szenen vom liebenswerten Chaos eines Kleinbetriebes: Für Tati ist die allgemeine Bewunderung des Automobils nichts anderes als der Tanz ums Goldene Kalb - und natürlich wird schon hier deutlich, dass es Hulot nie schaffen wird, das selbstkonstruierte Campingmobil rechtzeitig zu einer Automobilausstellung nach Amsterdam zu bringen.Wie schon im Vorgängerfilm „Playtime“ rückt Tati die Figur Hulot auch in „Trafic“ an den Rand des Geschehens und macht ihn eher zum Katalysator denn zum Mittelpunkt seiner Gags. Und selbst die sind teilweise nur angedeutet: Dass man sich in einem komischen Film die Komik selbst denken muss, gehört wohl zu den radikalsten Ideen, die sich ein Regisseur je erdachte.

„Trafic“ 1. 9. - 2. 9. im Arsenal 1

Vier New Yorker Models, in deren Appartement sich auch die Gemälderestauratorin Amanda (Monica Potter) einquartiert hat, finden an den Herren vor allem die dicken Brieftaschen wichtig. Doch Amanda träumt lieber von der romantischen Liebe ohne Lügen und Heimlichkeiten. Und da scheint ihr das Glück auch schon zu winken: in Gestalt des charmanten Jim (Freddie Prinze jr.), den sie in der Nachbarschaft kennen lernt. Weil Jim direkt gegenüber wohnt, verbringen Amanda und ihre Models von nun an einen größeren Teil ihrer Zeit mit dem Feldstecher am Fenster - und müssen feststellen, dass Jim offenbar nicht der ist, der er zu sein vorgibt. Mit viel Ironie sowie ungemein derben Geschmacklosigkeiten erzählt Mark Waters in „Hals über Kopf“ die Geschichte von den unfähigen Amateurdetektivinnen, die in eine Reihe von absurd-vergnüglichen Abenteuern mit Modemachern, Mafiosi und dem FBI verwickelt werden - und denen vor allem auf fremden Toiletten immer sehr befremdliche Dinge zustoßen. Eigentlich ein würdiger Nachfolger von „Verrückt nach Mary“, dessen Drehbuchautoren John J. Strauss und Ed Decter hier die Story entwickelten - ein Erfolg wurde es trotzdem nicht.

„Hals über Kopf“ 30. 8.- 5. 9. im Sojus 3

Lars Penning