Von der Drillanstalt bis zur Penne

Die „Tage des offenen Denkmals“ nehmen sich der Erziehung an. „Schule und Jugend“ führt zu 230 historischen Bauwerken des Berliner Schulbaubooms im 19. und 20. Jahrhundert und zu den jüngsten Stätten der Jugendkultur wie etwa dem E-Werk

von ROLF LAUTENSCHLÄGER

Das Thema Erziehung ist wieder „in“. Doris Schröder-Köpf, Kanzlergattin und Mutter, hat sich jüngst Sorgen um die Entwicklung der Jugend gemacht. Drogenkids, antiautoritäre Flegel oder autistische Fernsehgucker machen ihr Probleme. In der neuesten Ausgabe des Spiegels fordert „heute“-Moderatorin Petra Gerster auf zur „Charakterbildung“. Und ihr Mann Christian Nürnberger ist sich sicher, dass klare pädagogische Methoden und ein besseres Bildungssystem den akuten „Erziehungsnotstand“ in Schulen, daheim und auf der Straße beenden könnten.

Es kommt also nicht von Ungefähr, dass sich auch der europaweite „Tag des offenen Denkmals“ vom 7. bis 9. September in Berlin dem Thema „Jugend und Schule“ widmet, steht doch in der Stadt das Thema Bildung auf der politischen Prioritätenliste ganz oben. Dass das zentrale Anliegen der Berliner Politik sinnfällig mit der Bewusstseinsschärfung für die „Werte alter Schulen“ und deren schützenswerte Bausubstanz verknüpft werden kann, wie Senatsbaudirektor Hans Stimmann gestern bei der Vorstellung des Programms meinte, scheint evident. In guten alten Schulen, respektablen Gymnasien und sanierten historischen Gebäuden mag es sich anständiger lernen als in seelenlosen Gesamtschulen.

Berlin, erinnerten Stimmann und Landeskonservator Jörg Haspel, besitzt eine Fülle derartiger geschichtlicher Lehranstalten, an denen sich der „bürgerliche Bildungsauftrag“ über ein Jahrhundert nachzeichnen lasse. Mit dem rapiden Anstieg der Bevölkerung Mitte des 19. Jahrhunderts „setzte ein wahrer Schulbauboom ein“, so Stimmann. Der öffentliche Schulbau wurde zur kommunalen Bauaufgabe, die der Stadt „bis heute qualitätvolle Zeugnisse von hohem architektonischen und pädagogischen Anspruch“ hinterlassen hat.

Wesentlichen Anteil daran hatten der damalige Baustadtrat Hermann Blankenstein (1829 bis 1910) und dessen Nachfolger Ludwig Hoffmann (1852 bis 1932). Bis zur Jahrhundertwende realisierte allein Blankenstein in Berlins über 200 Schulen, darunter das ehemalige Leibniz-Gymnasium (heute Nürtingen-Grundschule) am Mariannenplatz. Blankensteins Schulen passten sich ein in das städtische Gefüge, waren aus Backstein gestaltet und bildeten in ihrer preußischen Architektursprache Symbole jener Zeit.

Wo heute die Pennäler sich mit Graffiti verewigen und durch die Flure toben, herrschte damals ein strenges Regiment aus Strafen und Eintrichterei. Lange Zeit galten Blankensteins Bauten als Inbegriff der wilhelminischen „Schulkasernen“, wie Haspel erläuterte, „mit preußischem Drill und Ordnungssinn“.

Das Gegenstück architektonischer und pädagogischer Strenge bildete der Schulbau in den 20er-Jahren. Angespornt durch die Reformbewegung jener Zeit entstanden Schulen „als Abbild moderner Pädagogik“, so Haspel. Im Stil der klassischen Moderne realisierte Bruno Taut etwa einen wunderbaren Bau (1928) am Neuköllner Dammweg, der sich von allem bisherigen unterschied: ein Pavillon, hell und gläsern, mit Blick und Wegen nach draußen und ohne innere Symmetrie. Heute dient der Bau als Ausbildungsstätte und Gartenbauschule für jugendliche Sonderschüler und gehört vielleicht zu den Kleinodien dieser Denkmaltage.

Im Mittelpunkt der Denkmaltage aber stehen nicht allein die Bildungseinrichtungen. Zu den 229 Angeboten gehören auch typische Berliner Gebäude, die Jugendliche neu entdeckt haben. Die als „E-Werk“ bekannte Disko im alten Abspannwerk in Mitte etwa haben Raver zum Kulturort verwandelt und zu dem maroden Ort ein ästhetisches Verhältnis entwickelt – für manche ein Anstoß. Frau Schröder-Köpf, übernehmen Sie!