Die Nummer eins, die nicht relevant ist

Die Medien in den USA definieren die Tenniswelt anlässlich der US Open aus streng nationaler Perspektive

NEW YORK taz ■ Wenn sich die Amerikaner erst einmal an einer Sache festgebissen haben, dann lassen sie so schnell nicht wieder los. Seit das Magazin Time vor ein paar Tagen mit der Titelgeschichte „Die Schwestern gegen den Rest der Welt“ erschienen ist, dreht sich alles um Venus und Serena Williams. In der Geschichte geht es um den Stand der mächtigen Schwestern in der Welt des Frauentennis, aber auch ganz allgemein darum, dass Frauen die Männer nach Meinung der Autoren allmählich von den Centre Courts vertrieben.

Als Indiz für diese These gilt eine bemerkenswerte Änderung: Das Finale der Frauen wird am Samstag der kommenden Woche am Abend in der sogenannten Prime-Time stattfinden und nicht mehr, wie jahrelang zuvor, als Überbrückungs-Programm zwischen den beiden Halbfinals der Männer. Die Fernsehbosse versprechen sich hohe Einschaltquoten, und fast könnte man meinen, die übrigen Medien wären daran interessiert, ihnen zu diesen Quoten zu verhelfen. Der Time-Titel wurde in den vergangenen Tagen rauf und runter diskutiert, und der schwarze Peter landete wieder mal bei Martina Hingis. Die ist in der Geschichte mit ein paar Äußerungen zitiert worden, die für die Ostküsten-Amerikaner eindeutig unter die Rubrik „political incorrect“ fallen. „Dass Venus und Serena schwarz sind, hilft ihnen“, hat Hingis gesagt. Oft fänden die beiden gerade deshalb Sponsoren, und auch sonst seien sie im Vorteil, weil sie immer den Vorwurf des Rassismus ins Feld führen könnten, wenn die Dinge nicht nach ihren Vorstellungen liefen.

Mal abgesehen davon, dass es nicht Venus und Serena, sondern deren Vater Richard ist, der den Vorwurf gewöhnlich ins Spiel bringt, gibt Martina Hingis sicher die Meinung vieler Kolleginnen wieder, die einfach nur ein wenig vorsichtiger sind. Aber was sie auch tut, sie hat keine guten Karten. „Die Nummer eins, die nicht mehr relevant ist“, titelte die New York Times und erinnerte daran, dass Hingis nur noch deshalb nominell die Nummer eins des Frauentennis sei, weil sie mehr spiele als Venus oder Serena Williams. Es gibt nur einen Weg, wie die Schweizerin der beliebten Schwarzweißmalerei entkommen kann – mit einem Sieg am bewussten Samstagabend zur Primetime, aber es gibt Zweifel daran, dass es so weit kommen wird.

So weit der eine Teil der Geschichte. Zum zweiten Teil muss man wohl schon erklären, dass die Gewichtung zwischen Männer- und Frauentennis außerhalb der großen Vereinigten Staaten modifizierter gesehen wird, als es Time glauben machen will. In ebenjenem Artikel wird die These vertreten, es sei wirklich zu viel verlangt, sich den Namen der Nummer eins der Männer, Gustavo Kuerten, zu merken; das ist jener Mann, der vor ein paar Monaten bei den French Open in Paris den dritten Titel und abertausend Herzen gewann. Nur ein Halbsatz zu Goran Ivanisevic, dem sensationellen Sieger in Wimbledon, ansonsten ein Lamento darüber, unter den 20 Besten in der Weltrangliste der Männer tummelten sich spanische Sandplatz-Matadoren und weitere unauffällige Europäer.

Die Kluft in der Einschätzung dieser Dinge zwischen Europa und den USA ist nicht zu übersehen, und gäbe es nicht den jungen Andy Roddick, dann könnte man dieser Tage meinen, der Untergang des Männertennis stünde unmittelbar bevor. Offensichtlich trauen die New Yorker selbst den bewährten Helden Agassi und Sampras nicht recht über den Weg, was sich aber spätestens dann ändern dürfte, wenn die beiden in einer Woche immer noch dabei sein sollten.

Aber wie es auch kommen wird: Sie werden schon eine schlaue Erklärung für alles finden. Ein so großes, bedeutendes Land muss einfach voller schlauer Erklärungen sein.

DORIS HENKEL