Die Flüchtlinge sollen raus

Schilys Einwanderungsreform würde das Ausländer- und Flüchtlingsrecht weiter verschärfen. Daher reicht es nicht, Details nachzubessern. Nötig ist ein neues Konzept

Die Zuwanderung von Arbeitnehmern lässt sich weitgehend auch ohne ein hektisches Gesetz regelnDer Schily-Entwurf dient dazu, die Zahl der abgeschobenen Flüchtlinge zu erhöhenDer Trend geht zur Illegalisierung. Dies könnte mehr als 200.000 Menschen betreffen

Sieben Millionen Menschen in Deutschland sind zurzeit Objekt parteistrategischer Kalküle. Anfang August hat Otto Schily den Referentenentwurf für ein Zuwanderungsgesetz vorgestellt – eine Totalrevision des deutschen Ausländerrechts und großer Teile des Flüchtlingsrechts. Die Union lehnt die Vorschläge ab. Doch sollte dies niemanden glauben lassen, es handele sich deshalb um ein modernes Zuwanderungsrecht, das man um jeden Preis unterstützen müsse, damit keine historische Chance verpasst wird.

Bei den Nichtregierungsorganisationen herrscht vielerorts Erbitterung. Die Fortschritte bei der Zuwanderung sind dürftig, die Restriktionen beim Asyl und in der Flüchtlingspolitik dafür umso drastischer. Zunächst zur Zuwanderung: Vieles, was der Entwurf dazu enthält, hätte ohne gesetzgeberische Hektik durch eine schlichte Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates geregelt werden können. Dies gilt für die Anwerbung Hochqualifizierter, die Einwanderung von Selbstständigen und Existenzgründern oder das Aufenthaltsrecht für ausländische Studienabsolventen. Die darüber hinausgehende arbeitsmarktbezogene Zuwanderung folgt weitgehend dem Muster der Anwerbepolitik früherer Jahre.

Der angebliche Paradigmenwechsel zur „gestalteten“ Zuwanderung hat seine Kehrseite: 1,7 Millionen Menschen, darunter 700.000 mit türkischen Pässen und 100.000 aus dem ehemaligen Jugoslawien, die bislang mit befristeter Aufenthaltserlaubnis in Deutschland leben, werden künftig ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht nur noch unter verschärften Bedingungen erhalten. Die liegen knapp unterhalb dessen, was bisher erst für die Einbürgerung nötig war. So müssen ausreichende schriftliche Sprachkenntnisse nachgewiesen und eine Art Staatsbürgerkundeprüfung absolviert werden.

In der Flüchtlings- und Asylpolitik trägt der Referentenentwurf die Handschrift der bereits unter Innenminister Kanther (CDU) tätigen Berufsbeamtenseilschaft. Deren Glaubensbekenntnis kann man so zusammenfassen: Wir glauben, dass es keine Schutzlücke für die Opfer nichtstaatlicher und geschlechtsspezifischer Verfolgung in Deutschland gibt. Wir glauben, dass wir es nicht nötig haben, die UN-Kinderrechtskonvention auch für Flüchtlingskinder in Deutschland umzusetzen. Wir glauben, dass wir uns um die flüchtlingsfreundliche Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte nicht scheren sollten, solange uns das Bundesverwaltungsgericht mit seiner europafeindlichen Rechtsprechung zur Seite springt. Wir glauben, dass es in Deutschland nur ein einziges Defizit gibt: das Vollzugsdefizit. Deshalb muss auf Ausreisepflichtige mehr Druck ausgeübt werden – die Zahl der Abgeschobenen ist noch zu niedrig. Dieses Gedankengut setzt der Schily-Entwurf um.

Das Resultat: Nichtstaatlich und geschlechtsspezifisch Verfolgte erhalten auch künftig in Deutschland nicht den Schutz der Genfer Flüchtlingskonvention. Bislang überwiegend abgespeist mit einem wackeligen Duldungsstatus müssen sie künftig befürchten, dass sie meist nur noch eine „Bescheinigung über die Aussetzung der Abschiebung“ in der Hand halten. Zwar kann theoretisch eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden. Die gibt es jedoch nicht, wenn die Ausreise in einen anderen Staat möglich und zumutbar ist. So gefasst ist die Bestimmung ein Freibrief für die Ausländerbehörden, mit dubiosen Hinweisen auf eventuelle Ausreisemöglichkeiten in dieses oder jenes Land die Betroffenen in fortwährender Unsicherheit zu halten. Die Beweislast liegt bei jenen, die den Aufenthaltstitel beantragen. Wer das nicht will – und auch die SPD-Bundestagsfraktion hatte sich für die Opfer nichtstaatlicher Verfolgung engagiert –, der muss Klarheit von Schily fordern.

Die Duldung, auf deren Basis mehr als 250.000 Menschen in Deutschland ihr Leben fristen, soll künftig wegfallen. Schilys Begründung: Die Duldung sei immer mehr zu einem Ersatzaufenthaltstitel geworden. Wer bleibe, müsse daher einen verlässlichen Aufenthaltstitel erhalten, die anderen müssten abgeschoben werden. Was zunächst logisch klingt, erweist sich als höchst problematisch. Statt der Duldung gibt es nun eine Bescheinigung minderer Güte, dass die Abschiebung ausgesetzt wird. Selbst diese Bescheinigung soll allerdings nur noch erteilt werden, wenn rechtliche Abschiebungsverbote, etwa nach der Genfer Flüchtlingskonvention, der Europäischen Menschenrechtskonvention oder nach dem Grundgesetz zu berücksichtigen sind. Wer nicht wegen solcher rechtlichen Abschiebungshindernisse, sondern aus tatsächlichen Gründen in Deutschland geduldet wird, etwa weil der Herkunftsstaat ihn nicht zurücknehmen will oder Flugverbindungen nicht existieren (wie etwa lange nach Kabul), der steht künftig ungeschützt da: Nicht einmal die „Bescheinigung“ wird er bekommen. Der Trend geht zur Illegalisierung. Je nachdem, wie konsequent dieses Programm umgesetzt wird, könnte es mehr als 200.000 Menschen betreffen.

Auch schutzbedürftige Flüchtlinge wie aus Somalia, Roma aus dem Kosovo oder Kurden aus dem Irak könnten sich künftig in so genannten Ausreiseeinrichtungen wiederfinden. In diesen halboffenen Einrichtungen soll „durch Betreuung und Beratung die Bereitschaft zur freiwilligen Ausreise gefördert und die Erreichbarkeit für Behörden und Gerichte sowie die Durchführung der Ausreise gesichert werden“. Hier wird dann ordentlich Druck gemacht. Eine Höchstdauer für diese halboffene Internierung ist nicht vorgesehen. Wer aus Verzweiflung abtaucht und aufgegriffen wird, der wird sich dann in der Abschiebungshaft wiederfinden. Zur Einweisung ins nette Betreuungsangebot „Ausreisezentrum“ genügt bereits, dass eine gesetzte Ausreisepflicht abgelaufen ist oder Anhaltspunkte den Verdacht begründen, man werde nicht freiwillig ausreisen. Entsprechende Gummiparagrafen werden einen neuen Lagertyp füllen, der jetzt bereits als Modellprojekt in Niedersachsen und Rheinland-Pfalz existiert. Gefordert war, gerade auch von der SPD-Bundestagsfraktion, dass Jahr um Jahr Geduldete einen Aufenthaltstitel bekommen sollen. Die jetzt hierfür vorgesehene Aufenthaltserlaubnis wird jedoch für die meisten nicht erreichbar sein: Man wird den Antragstellern entweder ihre ursprünglich illegale Einreise vorwerfen können oder sie darauf hinweisen, dass eine freiwillige Ausreise ja möglich sei. Zudem bleibt immer die Möglichkeit, den Flüchtlingen ihre fortdauernde Sozialhilfebedürftigkeit entgegenzuhalten. Denn dies sichert der Gesetzentwurf auch noch ab: Flüchtlinge mit der „Bescheinigung über die Aussetzung der Abschiebung“, die die Duldung ablöst, sollen nicht mehr arbeiten dürfen.

Das Asylbewerberleistungsgesetz soll künftig unbefristet gelten und zum Beispiel auch auf alle Ausländer angewendet werden, für die ein Abschiebeverbot gilt. Auch Flüchtlinge mit humanitären Aufenthaltstiteln werden künftig von Sachleistungen leben müssen, deren Wert mehr als 30 Prozent unter der Sozialhilfe liegt. Ein Arbeitsbeschaffungsprogramm für die Lieferanten von Fresspaketen und die Sammellagerbetreiber. Dass Schily ernsthaft vertritt, was nicht einmal unter der CDU-Regierung durchsetzbar war, ist eine Kriegserklärung an die Grünen.

Der keineswegs vollständige Problemkatalog macht deutlich: Einer Vielzahl von Restriktionen stehen einige Regelungen gegenüber, die Betroffene theoretisch begünstigen, aber in der Praxis leer laufen werden. Asylsuchende und Flüchtlinge sollen die Zeche für das rot-grüne Zukunftsmodell Zuwanderung zahlen. Die Grünen, aber auch die Bundestagsabgeordneten der SPD, so sie ihren Parteitagsbeschlüssen noch Bedeutung beimessen, müssen realisieren: Das Ganze hat System. Otto Schily handelt vorsätzlich. Seine rigide Politik gegen Flüchtlinge soll den Konsenskorridor für die gesteuerte Zuwanderung verbreitern. Sollten die Grünen versuchen, lediglich einzelne Restriktionen aus dem Gesamtpaket herauszuverhandeln, dann haben sie bereits verloren. Die restriktiven Vorschriften sind zu großen Teilen eng miteinander verzahnt. Wer dies nicht mittragen will, der muss ein eigenes Konzept vorlegen und Schutzbedürftigen den Schutz geben, den sie benötigen. Vorschläge finden sich bei den Grünen und bei der SPD. Ein Gesetzentwurf aber, der die Schutzlücken fortschreibt, noch mehr Menschen als bisher zu entrechten droht und in die Illegalität abdrängt, ist reaktionär und gefährlich. BERND MESOVIC