Ein Jumbo-Jet des Geistes

Fred Hoyle wurde mit der Wortschöpfung „Big Bang“ berühmt. Dabei lehnte er bis zu seinem Tod die Urknalltheorie ab

Die Chance, dass aus den Chemikalien der frühen Erde zufällig ein Bakterium entsteht, hat der Kosmologe Fred Hoyle einmal mit der Wahrscheinlichkeit verglichen, „mit der ein Hurrikan aus den ausgebreiteten Einzelteilen eines Flugzeugs einen Jumbo-Jet zusammensetzt“.

In einem Text über die Mysterien des Neodarwinismus hatte ich gerade diesen Satz geschrieben – und davor nach längerer Zeit wieder in Hoyles Büchern gelesen –, als das Radio seinen Tod meldete. Kein Zufall, der einen Jumbo-Jet zusammensetzt – aber einen Nachruf: auf den Doyen der Kosmologie und eine der größten Persönlichkeiten der Wissenschaft des vergangenen Jahrhunderts.

Sir Fred Hoyle, 1915 geboren, studierte und lehrte zeit seines Lebens Mathematik und Astrophysik in Cambrigde, gründete und leitete bis 1972 das Institut für Astronomie und wurde für seine Arbeiten weltweit ausgezeichnet. Zusammen mit dem amerikanischen Physiker William Fowler entdeckte er 1958, dass die schweren chemischen Elemente wie Kohlenstoff, Sauerstoff und Eisen, aus denen lebende Körper geformt sind, in den nuklearen Hochöfen riesiger Sterne entstanden sind. Für die epochale Entdeckung erhielt damals merkwürdigerweise nur Fowler den Nobelpreis – was die Schwedische Akademie erst 1997 mit der Verleihung des Crafoord-Preises, für nicht nobelpreisfähige Großleistungen, am Hoyle ausglich. Damit ehrte sie auch das Lebenswerk dieses streitbaren und grenzüberschreitenden Geistes, der weit über sein mathematisch-astronomisches Fachgebiet hinausreichte.

Er schrieb nicht nur berühmt gewordene und verfilmte Science-Fiction-Romane – „The Black Cloud“ (1957) und „A for Andromeda“ (1962) –, Kinderstücke und das Musciallibretto „The Alchemy of Love“. Er formulierte auch die vor dem Urknallmodell etablierte „Steady State“-Theorie eines ewigen Universums ohne Anfang und legte sich in provokanten Büchern mit den wissenschaftlichen Glaubenssätzen der verschiedensten Dsiziplinen an.

Besonders die Vertreter der neodarwinistischen Lehre, nach der Leben in einer langen, graduellen Entwicklung nur durch Mutation und Selektion entstanden ist, brachte Hoyle regelmäßig aus dem Häuschen. So als er 1986 das Prachtstück des Britischen Museums – den Archäopterix, der angeblich den Übergang vom Reptil zum Vogel markiert – in einem Buch als Fälschung entlarvte, was die Zoologen entrüstet zurückwiesen: Die Interpretation von Fossilien möge der geschätzte Sir Fred doch bitte den Fachleuten überlassen.

Doch Hoyle nahm, „außer vielleicht meinem milden Sarkasmus“, keine Zeile zurück – und deutete einmal mehr, als Grenzgänger und scheinbarer Nichtfachmann, zu Recht auf einen wunden wissenschaftlichen Punkt. So schloss sich seiner These von einer Besamung des Planeten aus dem All unter anderem auch der Mitentdecker der DNA-Struktur, Francis Crick, an.

Dass Fred Hoyle bei seinen vielen bedeutenden Beiträgen zur Astrophysik ausgerechnet mit dem Begriff „Big Bang“ berühmt wurde, mit dem er die seit den 70er-Jahren etablierte Urknallhypothese vom Tisch wischte, entbehrt nicht der Ironie. Denn obwohl er das Modell des Urknalls bis an sein Lebensende ablehnte – „schon aus ästhetischer Voreingenommenheit“ –, ist das sich schon immer ausdehnende und zusammenziehende „Steady State“-Universum, dessen mathematisches Modell Hoyle mit zwei Kollegen in den 40er-Jahren aufstellte, kein ruhiger, heimeliger Ort. Im Gegenteil. Als einer der wenigen „Big Shots“ der Wissenschaft hatte sich Hoyle in den letzten Jahren sozusagen den „Small Bangs“ zugewandt: den durchAsteroiden und andere Himmelskörper verursachten Katastrophen, die die jüngste Erdgeschichte geprägt haben.

Er griff die Beobachtungen der Astronomen Victor Clube und Bill Napier auf, dass zuletzt vor 15.000 Jahren ein gigantischer Kometenschwarm unser Sonnensystem kreuzte und auf der Erde verheerende Katastrophen anrichtete. Alle 1.600 Jahre, so Hoyles These, ist die Erde seitdem periodisch einem schwächer werdenden Bombardement durch kosmische Trümmer ausgesetzt, die unter anderem die Eiszeit beendeten, die Sintflut auslösten und zur Entdeckung der natürlichen Metallschmelze führten.

Was klingt wie eine seiner Romanstorys – und wofür Immanuel Velikovskys „Katastrophentheorie“ bis in die 70er vom szientifischen Establishment als Spinnerei abgekanzelt wurde –, ist mittlerweile einer der spannendsten astronomischen und erdgeschichtlichen Forschungsgebiete: Theorien über jüngst vergangene Katastrophen sind auf dem Weg zu einem neuen Paradigma. Wenn Hoyles These stimmt – und nicht nur die zunehmend in Beobachtung durch die Nasa geratenden „Near Earth Objects“ sprechen dafür –, bedeutet dies eine ziemlich radikale Änderung unserer Perspektive, vor allem im Blick auf Theorien von der Evolution und der menschlichen Geschichte. So katastrophisch, chaotisch und spontan wir uns die Evolution des Lebens mit Fred Hoyle künftig vorstellen sollen, so beruhigend ist da dann doch sein großes Modell des Kosmos: „Die Steady-State-Vorstellung bezieht sich auf ein Universum, das in sich seine eigene Erkenntnis trägt, die eigene Gottheit, wie man sagen könnte.“

Der Mann, der einst nachwies, dass wir Menschen letztlich aus Sternenstaub genmacht sind, ist jetzt wieder in diesen Zustand eingegangen – und er wird fehlen. Als rares Exemplar einer Wissenschaftlerspezies, deren unerschrockenem Geist auch Ämter und Würden nichts anhaben können. Hoyle war weder widerspruchsfrei – so plädierte er trotz der Kometengefahr für Atomkraftwerke –, noch schreckte er vor spleenigen Behauptungen etwa von Sonnenflecken als Grippeauslösern zurück.

Und doch enthält schon einer seiner Vorträge – zum Beispiel „Kosmische Katastrophen und der Ursprung der Religion“ (hrsg. von Eberhard Sens, Insel Verlag 1997) mehr Anregungen als die gesammelten Lebenswerke üblicher Wissenschaftsverweser und Lehrstuhllangweiler. Auch wenn unklar ist, wie die Natur solche Jumbo-Jets des Geistes wie Fred Hoyle zusammensetzt, eines ist sicher: Es geschieht viel, viel zu selten. MATHIAS BRÖCKERS