Oberseminar bei Dr. Kundrun

Bertelsmanns Pressetocher Gruner + Jahr musste im abgelaufenen Geschäftsjahr Federn lassen. Überschuss sinkt um 85 Prozent. In Zukunft soll es bei Europas größtem Verlag wieder aufwärts gehen. Tageszeitungen stehen „nicht zur Disposition“

aus Hamburg EBERHARD SPOHD

Fast ein wenig genervt reagierte Bernd Kundrun, der Vorstandsvorsitzende von Gruner+Jahr (G+J), die Nachfragen seiner Kollegen auf der gestrigen Bilanzpressekonferenz: Ja, man stehe zum Zeitungsbereich und so auch zur Berliner Zeitung; ja, die Financial Times Deutschland sei ein erfolgreiches Blatt; nein, es gibt keine Irritationen zwischen dem Mehrheitsgesellschafter Bertelsmann und der Familie Jahr über den Kurs bei G+J; nein, in Zukunft werde es wieder aufwärts gehen.

In der universitären Atmosphäre des an einen Hörsaal gemahnenden Konferenzsaales im G+J-Gebäude am Hamburger Hafen dozierte Kundrun über ein schwieriges Geschäftsjahr 2000/2001, das geprägt gewesen sei vom „abrupten Ende der Internet- und Börseneuphorie“ – was zu gewaltigen Einbrüchen im Anzeigenumsatz führte. Insbesondere im Segment Wirtschaftszeitschriften ging der Umsatz sogar stärker zurück, als er im Boom-Jahr zuvor zugelegt hatte. Doch eine solche Konsolidierungsphase hatte man im vorausschauend handelnden Verlagshaus an der Elbe – und wie Kundrun ausdrücklich betonte natürlich früher als andere Unternehmen – schon einkalkuliert. Wer gut vorbereitet ist, so das unausgesprochene Motto, der übersteht auch kurzfristige Konjunkturabschwünge.

Alles klar also bei G+J. Das Auslandsgeschäft boomt und macht mittlerweile 62 Prozent des Gesamtumsatzes aus. Und angesichts all der Investitionen, Internet-Kater und der schwierigen wirtschaftlichen Gesamtlage mit einbrechendem Anzeigengeschäft und steigenden Papierpreisen sei es da kaum verwunderlich, dass der Jahresüberschuss um 85 Prozent auf 42 Millionen Euro gesunken ist, so Kundrun.

Eine andere Geschichte wollte der G+J Chef offensichtlich nicht erzählen: Wie es denn um das Zeitungsgeschäft im Hause wirklich bestellt ist. Seit Monaten wird kaum mehr spekuliert, ob, sondern nur noch, wann sich der Konzern wohl von seinen Sorgenkindern wie der Berliner Zeitung trennen wird.

Denn wenn schon das schöne Wörtchen Grundkompetenz fällt, dann müssen die Vorstände des Unternehmens zugeben, dass sie zwar vom Zeitschriftengeschäft viel, vom Absatz von Zeitungen eher wenig verstehen. Das ändert sich auch durch die Aufnahme Achim Twardys in den Führungszirkel nicht grundsätzlich. Der ehemalige Bild-Verlagsgeschäftsführer, der seit vier Wochen in dem postmodernen G+J-Metallkasten am Kai residiert, kennt zwar die Zeitungslandschaft genau, kommt aber wahrscheinlich zu spät.

Zu deutlich hat Bertelsmann-Vorstandschef Thomas Middelhoff in den letzten Monaten auf den Abschied vom Tageszeitungsgeschäft hingearbeitet und dabei die Familie Jahr, mit 25 Prozent der Anteile einflussreicher Zweitgesellschafter bei G+J, desavouiert. Als die Berliner Zeitung am Mittwoch Middelhoffs Äußerung bei einer Medienkonferenz in Potsdam, man müsse „damit leben, lieb gewordene Dinge abzustoßen“, auf sich bezog, liefen beim Berliner Verlag die Telefone heiß. Allein aus Image-Gründen zögern die Jahrs wohl noch, den Zeitungsbereich abzustoßen. Und zumindest die Essener WAZ-Gruppe hat schon indirekt ihr Interesse an einer Übernahme gezeigt.

Doch die Irritationen zwischen den beiden G+J-Anteilseignern seien ausgeräumt, befand Kundrun gestern stoisch und bekräftigte noch einmal, dass G+J den eingeschlagenen Weg nicht verlassen werde. „Die Berliner Zeitung ist und bleibt eines unserer journalistischen Schmuckstücke“, sagte er – und stehe „nicht zur Disposition“. Und auch G+J-Zeitungschef Twardy sprach von einer „Perle in der Hauptstadt“, die nicht zu veräußern sei. Goldene Worte, die Uwe Vorkötter, designierter Chefredakteur des Blattes, mit gleich viel Wohlwollen wie Misstrauen gehört haben dürfte. Denn auch seinem eben geschassten Vorgänger Martin E. Süskind war so lange der Rücken gestärkt worden, bis er seine Kündigung auf dem Tisch liegen hatte.