„Wir sind das Salz eurer Kultur“

Das weiße Europa will vom schwarzen Afrika längst nichts mehr wissen. Aber die gemeinsame Geschichte lässt sich nicht so einfach abschütteln

Ich beginne mit einer Anekdote. Als mein Sohn zusammen mit fünf weiteren Senegalesen von seiner Oberschule ausgewählt wurde, im Rahmen des Schulpartnerschaftsprogramms der Unesco am „Rencontre international de la fraternité“ in Frankreich vom 12. bis 17. Juni 2001 teilzunehmen, war ich erstaunt festzustellen, mit welchem Eifer die französischen Konsulardienste bis zur letzten Minute versuchten, ihnen Visa zu verweigern. Trotz des offiziellen Einladungsschreibens des französischen Unesco-Komitees, trotz Telefonanrufen und Faxen der zuständigen französischen Behörden vervielfachte die französische Botschaft in Dakar ihre Schikanen, so dass die Delegation erst drei Tage nach Eröffnung der Veranstaltung eintraf, zwei Tage vor ihrem Schluss. Ist es akzeptabel, dass die erste Lehre Frankreichs an diese Kinder, die zu einem Treffen über Brüderlichkeit in das Land der Brüderlichkeit geladen wurden, in Xenophobie, Intoleranz und Misstrauen besteht?

Wir wissen, dass Sie uns nicht in Ihrem Land wollen. Das ist eine Konstante in Paris seit über zwei Jahrzehnten. Nicht nur aus dem hassverzerrten Mund eines Le Pen, sondern vor allem im Lager der Rose, wenn der Sozialist Michel Rocard erklärt: „Frankreich kann nicht das Elend der Welt aufnehmen“ – und vergisst, dass dieses gleiche Frankreich nach dem Zweiten Weltkrieg fast dreißig Jahre lang karawanenweise Arbeitskräfte aus all seinen Besitztümern hereinholte, von den Berbern der Kabylei bis zu den Bamileke Kameruns, um seine Fabriken zu bauen, seine Straßen, seine Sozialwohnungen, seine Reichtümer, die es sich heute zu teilen weigert. Jetzt wachsen an den Grenzen Mauern, Migrantenheime werden geräumt, in Charterflügen sitzen gefesselte Neger wie zu Zeiten der Sklaverei, Reisende werden in Konsulaten und Flughäfen erniedrigt und misshandelt.

Während Sie die Tore ihres Landes schließen, igelt sich die französische Gemeinschaft in Senegal ein und findet zu den Mechanismen von Rudelbildung zurück, die die Kolonialgesellschaft prägten. Wenn es auch in Dakar keine „europäische Stadt“ mehr gibt, wie man einst die von Weißen bewohnten Viertel nannte, haben Sie doch Ihre Ferienanlagen, Ihre Sonderbusse und Kliniken. Und Ihre Schulen, für Senegalesen praktisch unzugänglich, während die beiden frankosenegalesischen Schulen von Dakar, wo der kleine Mamadou die Geschichte von Karl dem Großen lernte und die kleine Stéphanie Erdnussanbau paukte, als Sparmaßnahme geschlossen werden – die letzten Orte, an denen man noch weiße und schwarze Kinder zusammen spielen sah. Im Süden unseres Kontinents hieß dies „getrennte Entwicklung“, weltweit bekannt als Apartheid.

Wer will auf den Spuren der Buren wandeln? Was wäre Frankreich ohne uns? Uns, also Senegal im Besonderen, Afrika im Allgemeinen und alle Länder im Universalen, von den Fischbänken Neufundlands bis zum Mururoa-Atoll, all die Orte, die irgendwann Frankreich ermöglichten, sein Imperium zu begründen. Haben wir nicht genug gezahlt? Frankreich hat zusammen mit Portugiesen und Holländern unseren Kontinent ausgeplündert, über 300 Jahre lang millionenweise unsere Frauen und Männer in der Blüte ihres Lebens auf die Zuckerfelder der Antillen, die Baumwollplantagen von Virginia, die Kaffeeplantagen von São Paulo und die Goldminen von Belo Horizonte gebracht. Wer das Amerika von heute mit seinen Spitzensportlern betrachtet, sieht, dass die besten Elemente unseres Kontinents gestohlen wurden. Welches Volk kann sich von einer solchen Ausblutung erholen?

Neben dem Sklavenhandel haben Sie all Ihre Energie in die Eroberung neuer Räume gelegt und Kolonien gegründet. Der Legende zufolge war es zu Weihnachten 1364, dass die Seeleute von Dieppe zum ersten Mal in unserer Bucht von Rio Fresco, heute Rufisque, Anker warfen. Dann kamen die Normannen, Basken und Bretonen. 1659 wurde Fort St. Louis gegründet, 1672 die Senegal-Gesellschaft, die Handelsprivilegien bis hinunter zum Kap der Guten Hoffnung hatte und das Monopol auf den Sklavenhandel in die Antillen.

Also: Von wo kam vor der Abschaffung der Sklaverei am 27. April 1848 der Reichtum Frankreichs, wenn nicht aus dem Handel mit den „Ebenhölzern“, die wie Wälder gerodet und in Schiffsbäuchen in eine Neue Welt gebracht wurden? Worauf begründeten Nantes, Bordeaux, Le Havre, La Rochelle, Rouen ihren Wohlstand, wenn nicht auf dem Blut der Neger? Wie viele Abenteurer und Habenichtse bauten an unseren Küsten Handelsimperien? Wie viele Seiten der Geschichtsbücher hat unser Land mit Frankreich gemeinsam geprägt, bis hin zur Erteilung des Stadtrechts an unsere Städte Saint Louis und Gorée nach der Revolution von 1848, die ihre Bewohner zu französischen Bürgern mit Wahlrecht machte?

Das alles ist lange her, nicht wahr. Wenn man heute von der Balkanisierung Afrikas spricht, von künstlichen Grenzen und ethnischen Kriegen, wieso vergisst man, dass dies die unmittelbare Folge der systematischen Aufteilung Afrikas zwischen den europäischen Mächten war – auf der Berliner Konferenz, die am 26. Februar 1885 „im Namen des Allmächtigen Gottes“ eröffnet wurde, um „im Geiste der Verständigung die besten Bedingungen zur Entwicklung des Handels und der Zivilisation in gewissen Regionen Afrikas herzustellen“?

So habt ihr euch die blutigen Reste eines toten Giganten geteilt. Von Tunis nach Benin und von der Sahara bis an den Kongo waren wir daraufhin Franzosen. Weiter südlich und östlich waren wir Engländer. In Tripolitanien sollten wir Italiener sein, im Kongo Belgier, am Wendekreis des Steinbocks Portugiesen und an ein paar Ecken in der Mitte Deutsche. Welches Volk soll das überleben? Und weil, wie Ihr exzellenter Theoretiker Duc de Choiseul erkannte, „die von den verschiedenen europäischen Mächten gegründeten Kolonien alle zum Nutzen der Metropolen geschaffen“ wurden, blühte eure Zivilisation dank der Ölpalmen von Senegal, des Goldes von Sudan, des Bauxits von Guinea, des Holzes von Gabun, des Eisens von Mauretanien, und dank der verrottenden Kadaver, die die Zwangsarbeit zu Tausenden säte. Seht ihr nicht, dass eure Größe der Grund ist für unsere Katastrophe? Oder denken Sie immer noch, dass es eine „zivilisatorische Mission“ des Westens war? Schließlich haben einige Ihrer größten Theoretiker so argumentiert, etwa Graf Gobineau in seinem Aufsatz „Von der Ungleichheit der menschlichen Rassen“, in dem er die Neger am unteren Ende der menschlichen Rangfolge ansiedelte. Was Sie allerdings nicht daran hinderte, uns in den düstersten Zeiten Ihrer Geschichte zu Hilfe zu holen. Wir wurden wieder in Schiffe gesteckt, um eure blutigen Konflikte zu lösen. Wir lagen mit euch in den Schützengräben an der Marne, wir standen an vorderster Front auf den Todesfeldern von Verdun. Und als viele Ihrer Mitbürger sich mit Vichy zufrieden gaben, sangen wir in unserem farbigen Savannenakzent „Franchie, nous woilà“ und kamen wieder, bis zum Triumphbogen im befreiten Paris am 26. August 1944.

Kennen Sie Ihre Geschichte? Kennen Sie unsere gemeinsame Geschichte? Wie viel kostete das schwarze Blut auf weißer Erde? Wir wollen keinen Platz am Grab des Unbekannten Soldaten, auch kein Kriegerdenkmal. Wir folgten euch ja weiter, in die Folterkeller von Algerien und die Hölle von Dien Bien Phu, oder nach Madagaskar, wo man kleine Kinder bis heute nicht mit dem Wolf erschreckt, sondern mit „dem Senegalesen“. Und als Sie überall verjagt waren, stellten Sie Ihre Truppen neu auf, in Dakar, Bangui, Ndjamena, Port Gentil, auf Dschibutis Felsen. In Afrika habt ihr den Dritten Weltkrieg gewonnen, den man den Kalten Krieg nennt, indem ihr den Appetit der Sowjets und ihrer bärtigen Hilfssoldaten zurückdrängtet, auch wenn es dafür nötig war, blutrünstige Diktaturen zu schützen. Seitdem ist die Berliner Mauer gefallen, das so genannte freie Europa hat sich erinnert, dass es an der blauen Donau Brüder hat, die ihm viel ähnlicher sehen als die Toubous von Tibesti. Auch die Diamanten, der Kaffee und das Edelholz verkaufen sich nicht mehr so gut, und Eurodisney ersetzt Safarifotos.

Nun sind wir also unter uns. Aber wenn Frankreich durch seine Geschichte, seine Kultur, seine Wirtschaft, seine Armeen ein sehr großes Land ist, so ist es doch nur ein kleiner Fleck auf der Weltkarte. Am Vorabend des Zweiten Weltkriegs hatte es ein Reich von 12 Millionen Quadratkilometern. Ist das nicht viel für ein Land kaum doppelt so groß wie Senegal? Fast 200 Millionen Menschen auf allen Kontinenten sprechen Französisch. Ist das nicht viel für ein Volk von 57 Millionen Seelen? Und denken Sie nicht, das läge nur daran, dass wir unsere eigenen Sprachen nicht entwickeln. Ihr habt doch in dem Moment, wo das Englische auf der Welt zur Regel wird, dieser Mode auch nachgegeben und die außergewöhnlichen Reichtümer eurer Schriftsteller und Enzyklopädisten hinter euch gelassen. Was wäre eure Sprache, jenseits des Atlantiks immer isolierter und im Maghreb vom Arabischen überholt, wenn es keinen harten Kern gäbe, der sie in seinen Verfassungen, seinen Ministerien, Schulen und Literaturen ständig verjüngte? Von Dakar bis Dschibuti, von Brazzaville bis Moroni lassen wir eure Worte tanzen, so dass sich Victor Hugo im Grabe umdrehen würde. Wir sind das Salz Ihrer Sprache, und manchmal fügen wir unseren roten Pfeffer hinzu, um dem subtilen, delikaten Geist einen kräftigen Körper zu geben.

Es stimmt, wir haben uns das Französische nicht ausgesucht, sondern die Geschichte hat es uns aufgezwungen. Erst mit Waffengewalt, dann mit strengen Lehrern, die jeden Fehler als Blasphemie betrachteten und die komplexen Regeln eurer Rechtschreibung und Grammatik mit Schlägen in unsere Seelen hieben wie Bildhauer. Das vergisst man nie, und das verwandelt das Fremde in einen Teil unserer Natur. Bis heute fühlen wir uns persönlich verletzt, wenn einer eurer Journalisten im Radio die Präpositionen durcheinander bringt wie wir als Grundschüler. Unsere Beziehung zu eurer Sprache ist die Geschichte eines Lebens. Rabelais konnte uns nicht schrecken. Wir genossen die Ironie von Voltaire, wir litten mit Madame Bovary, wir rebellierten mit Sartre, Camus und Malraux.

Haben eure Bürgersöhne von Neuilly und Saint Germain mehr geleistet als unsere barfüßigen Bauernsöhne von Djolof und Nguelaw? Haben sie die unnachahmlichen Erzählungen von Ahmadou Kourouma gelesen oder das ergreifende Spiegelbild unseres Schicksals, das uns Cheikh Hamidou Kane in seinem „Aventure ambigue“ vorhält? Was wissen sie von Senghors königlicher Poesie, und haben sie jemals den Namen Tchicaya U Tam’Si gehört? Lernt man in den Sonderschulen eurer Problemvorstädte die Berbergesänge von Jean Amrouche, die Romane Marokkos und Libanons?

Und es ist nicht nur Frankreich zu uns gekommen. Auch wir sind nach Frankreich gegangen. Wir haben eines unsicheren Morgens unsere sonnenverbrannte Erde für das neblige Ufer der Seine verlassen. Wir haben unser Bett in den prestigeträchtigen Schulen aufgeschlagen, Cicero und Seneca übersetzt, Homer und Thukydides. Wir haben die Reptilien eurer Philosophie furchtlos überwunden, wir haben die nicht weniger gefährlichen Abhänge der Ingenieursschulen gemeistert, um Brücken und Kathedralen zu bauen. Wir haben im Louvre David und Renoir bewundert, wir haben die fremden Rhythmen von Debussy lieben gelernt. Wir haben das Quartier Latin bis zum Morgengrauen durchwandert und die Internationale gesungen. Wir haben Sartre auf den Friedhof von Montparnasse begleitet, wir haben 1981 François Mitterrand zugejubelt. Wir kennen euch genauso gut wie ihr, oft besser, eure Geschichte, eure Literatur, eure Künste, eure Musik, eure Küche, eure Frauen.

Wie groß unser Elend jetzt auch sein mag, wir hören lieber den Puls Afrikas im Nebel verlorener Dörfer als die rauschenden Feste von Versailles; die betäubende Geschäftigkeit des Sandaga-Großmarktes begeistert uns mehr als die ziselierten Gärten des Jardin du Luxembourg. Aber niemand kann uns unser kosmopolitisches Erbe stehlen. Ihr seid der Fluss, aber wir haben an euren Ufern unsichtbare Tempel errichtet. Und wenn eines Tages Frankreich nur noch ein Punkt auf einem Sternenbanner ist, kommen Sie zu uns. Sie werden dort, weitab von der Seine, die Wurzeln Ihrer Größe vorfinden.