„Er ist ja 'ne Leiche, wissense“

■ Keinen Job? Geh' zum Bund. Das Arbeitsamt verweist aufs Kreiswehrersatzamt. Gewerkschafter finden das gar nicht gut. Die Chronik eines nicht angekündigten Protests

10.05 Uhr, Tatort Arbeitsamt. Im Foyer liegt ein Mann. Auf einer Bahre liegt er da, im tarnfarbenen Overall, olivgrüner Weste, auf dem Gesicht eine Gasmaske. Aus seiner Oberschenkeltasche ragt ein Papier, darauf das rote „A“, der Briefkopf des Arbeitsamtes.

„Er ist ja'ne Leiche, wissense“, sagt ein Mann im Vorbeigehen. Er ist keine Leiche, er ist lebendiger Protest. Protest gegen das Arbeitsamt und seine „Zusammenarbeit“ mit dem Kreiswehrersatzamt. Einen Tag vor dem heutigen Antikriegstag – „am Samstag hat das Amt ja zu“ – haben GewerkschafterInnen den vermeintlich toten Soldaten schon in die Mitte des lichtdurchfluteten Foyers getragen, verteilen Flugblätter und warten, was passiert. „Arbeitsamt sucht: Erwerbslose für Kriegseinsätze. Wir sagen nein!“ steht vorne auf dem Flugblatt, und hinten ist das Angebot von Arbeits- und Kreiswehrersatzamt abgedruckt, das in den Amtsräumen ausliegt. „Kein Arbeitsplatz in Sicht?“, heißt es da unter einem eckigen Adler. „Wenn Sie Ihren Grundwehrdienst noch ableisten müssen, kann Ihnen die Bundeswehr eine mögliche Arbeitslosigkeit – zumindest vorübergehend – ersparen.“

10.15 Uhr. Fotografen suchen die beste Perspektive auf den unbeweglichen Mann auf der Bahre. „Unmöglich“ finde sie die Aktion, sagt die Frau im Infoschalter des Foyers, und: „Die Verwaltung weiß Bescheid.“ Die Verwaltung naht, in Form von Wolfgang Wiesner. „Geben Sie mir mal das Telefon“, sagt er zu der Frau im Schalter. Sie gibt es, er wählt. „Bin ich da jetzt bei der Polizei?“, fragt er in den Hörer, dann: „Da hab ich mich irgendwie verwählt.“ Nächster Versuch. Diesmal: „Bei uns im Haus findet gerade eine nicht genehmigte Veranstaltung statt.“ Sekundenstille. „Ich habe die Herrschaften gebeten, das Haus zu verlassen.“ Dann: „Sie tun es nicht. Deshalb möchte ich um Ihre Hilfe bitten.“

„Warum sollte ich hier irgendwas anmelden? Das ist doch mein Haus“, sagt Klaus Neumann vom DGB-Arbeitskreis Arbeitslose. Er zitiert Tucholskys Meinung von Soldaten, findet die offiziell als „Zusammenarbeit“ überschriebene Allianz der Ämter „fatal“ und verweist auf die Mazedonien-Debatte.

10.29 Uhr. Zwei Männer in gelbem Polizeihemd und grüner Polizeihose stehen zwischen den rund 20 Leuten im Foyer und gucken. Minuten später sind es schon vier, dann fünf, sieben, schließlich neun. Sie lesen das Flugblatt.

Ein Mann mit kurzen Haaren, blauer Trainingshose, weißem T-Shirt, unter dem sich Muskeln spannen, kommt ins Foyer, geht an dem Mann auf der Bahre vorbei. Keine Ahnung, sagt er, worum's da gehe. Der Bund als Alternative? „Ich würde nie in den Krieg ziehen“, sagt er, „ich würde nie kämpfen. Mein Leben riskieren – nee. Für was?“

10.39 Uhr. Jetzt wird diskutiert. Hie und da ein Polizist, um sich herum eine Traube von Aktivisten. Es wird mal laut, der Polizist geht, „war nicht so gemeint“, ruft ein Gewerkschafter hinterher.

Zeitverschwendung sei das alles, findet ein Youngster, „die machen das doch sowieso“, sagt er, deutet auf die Pseudo-Leiche und meint den Gang nach Mazedonien.

Eine Statistik, wie viele Menschen auf das Angebot der zwei Ämter eingegangen seien, gibt es nicht, erklärt Rudolf Folkerts vom Kreiswehrersatzamt. Die hat auch das Arbeitsamt nicht. Wie eine ganz normale Firma, mit der man zusammenarbeitet, werde der Bund hier behandelt, sagt Arbeitsamtsmann Hans-Jürgen Lüschen. Die Aktion, Stockwerke unter ihm im Foyer, „überschreitet schon den guten Geschmack.“ Für ihn gibt es überhaupt keinen Grund, die Zusammenarbeit „mit einer Institution einzustellen, die im Staat durchaus anerkannt ist.“

10.42 Uhr. Zwei Polizisten, der eine mit schwarzen Lederhandschuhen, gehen zu der Bahre, heben sie samt Mann hoch, tragen sie vor die Tür. Der Mann mit der Gasmaske auf dem Kopf rührt sich nicht.

Ein Polizist schnappt Klaus Neumann den Ausweis aus der Hand. „Sie haben mir den Ausweis rausgerissen“, beklagt sich der DGB–Mann. „Ich hab' ihn mir genommen“, sagt der Uniformierte. „Jetzt beruhigen wir uns doch mal beide“, sagt Neumann.

10.48 Uhr. Das Foyer ist wieder völlig leer. Lichtdurchflutet, eine Frau mit Kopftuch geht zum Infoschalter.

Draußen liegt der Mann immer noch auf der Bahre, bewegungslos. Die Gewerkschafter stehen mit ihren Flugblättern um ihn herum. Ein Polizist sagt: „Das wird sich von alleine verlaufen.“

Susanne Gieffers