„Die Schlacht um die Mieterstadt“

Joachim Oellerich von der Berliner MieterGemeinschaft über Schwierigkeiten bei der Genossenschaftsgründung

taz: Der Senat will bis zum Jahr 2004 noch rund 20.000 Wohnungen in Berlin privatisieren. Zunehmend treten Genossenschaften als Käufer auf. Was halten Sie davon?

Joachim Oellerich: Wir sind grundsätzlich skeptisch gegenüber jeder Privatisierung. Unabhängig davon, ob die über Genossenschaften oder die Umwandlung von Mietwohnungen in Eigentumswohnungen passiert.

Mittlerweile werden in Berlin ausschließlich eigentumsorientierte Genossenschaften gefördert. Wo liegt der Unterschied zu klassischen Genossenschaftsmodellen?

Der wesentliche Unterschied besteht darin, dass nach einer gewissen Zeit die Wohnung durch Beschluss der Genossen in Eigentumswohnungen umgewandelt werden können und aus dem Kollektiv- ein Individualeigentum wird. Das ist eine klassische Eigentumsbildung, die man auch als „Eigentum für Arme“ bezeichnen könnte. Im Ergebnis soll aber normales Wohneigentum entstehen. Allerdings ist nicht sicher, ob es tatsächlich dazu kommt: Mittlerweile stellt sich bei einigen Projekten heraus, dass die Förderung dieser Genossenschaften gegenüber der klassischen Eigentumsförderung doch sehr ungünstig ist. Die Gefahr, dass Sie aus ihrer Verschuldung nicht heraus kommen, ist relativ hoch.

Würden Sie Mietern empfehlen, diesen Weg der Eigentumsbildung zu wählen?

Empfehlen können wir das nicht. Es gibt bei den neu gegründeten Genossenschaften viel größere Schwierigkeiten, als man im Vorfeld angenommen hat. Es gibt Beispiele dafür, dass sich die Idee, als Besitzer einer Wohnung mit den anderen Eigentümern über die Wohnanlage verfügen zu können, überhaupt nicht realisieren lässt. Es gibt wieder einen Vorstand, der die Fäden fest in der Hand hat, so dass der kollektive Gedanke stark belastet wird. Hinzu kommt, dass die genossenschaftliche Eigentumsförderung wesentlich ungünstiger ist als die individuelle Förderung. Darum ist es noch nicht sicher, ob die Genossenschaften finanziell überhaupt über die Runden kommen.

Welche Auswirkungen wird diese Entwicklung auf die Mieterstadt Berlin haben?

Zurzeit tobt hier die Schlacht um die Mieterstadt Berlin, das heißt, die Umwandlung der Mieter- in die Eigentümerstadt. Es wird insgesamt überhaupt nicht die Substanz da sein, um diese Umwandlung tatsächlich durchführen zu können. Die Leute haben nicht das Geld, um ihre Wohnungen zu kaufen. Die Genossenschaftsbildung ist ohnehin nur ein Beiwerk, das viel zu weit als politische Perspektive aufgebauscht wird. Es gibt gar nicht genug kaufbare Objekte, die auch tatsächlich in Genossenschaftseigentum umgewandelt werden können. Außerdem braucht man funktionierende Hausgemeinschaften, die überhaupt in der Lage sind, eine Genossenschaft zu gründen. Denn das ist eine ziemlich komplizierte Angelegenheit. Quantitativ wird sich diese Genossenschaftsbildung überhaupt nicht auf die Mieterstadt auswirken.

Werden Eigenbedarfskündigungen zunehmen?

Im Moment gibt es bei den Genossenschaften keine Möglichkeit der Eigenbedarfskündigung. Nur wenn die eigentumsorientierten Genossenschaften quasi aufgelöst werden und in Individualeigentum verwandelt werden, besteht diese Gefahr. Dann sind das ganz normale Eigentumswohnungen, und der Vermieter kann dann auch Eigenbedarf anmelden.

INTERVIEW: VOLKER ENGELS