„Früher richtig scheiße, jetzt okay“

„Rock Hard“-Chefredakteur Götz Kühnemund über die Wirkung der Böhsen Onkelz auf Fans – und seinen Umgang mit ihnen
Interview ARNO FRANK

taz: Herr Kühnemund, wie geht Rock Hard mit den Böhsen Onkelz um? Ihr Kollege Edgar Klüsener hat bedauert, den Onkelz mit einem Interview die Tür geöffnet zu haben.

Götz Kühnemund: Edgar und ich haben damals beide für den Metal Hammer gearbeitet, und ich kann mich noch genau an den Tag erinnern, als sie damals ins Büro kamen. Das war 1989, da hatten sich die Onkelz schon so sehr von der rechten Seite distanziert, dass sogar ich davon Wind bekommen habe – obwohl ich alles andere als ein Onkelz-Fan war, kein Konzert gesehen und keine Platten von denen besessen habe, weil ich so einen „Dreck“ nicht in meiner Sammlung haben wollte. Nach dem Interview sagte mein Kollege, die Band sei nicht politisch motiviert, das seien keine Nazis, auch wenn sie diversen Dreck am Stecken hätten.

Die Position der Musikpresse zu den Onkelz war bis dahin eindeutig . . .

Zwei oder drei Jahre zuvor hatte ich die Musik in einer Kritik noch sinngemäß als „Nazidreck“ beschimpft, weil das einfach die einhellige Meinung war, die bei uns über die Band vorherrschte. Ich war auch nicht bereit, mir da irgendwas anzuhören . . .

. . . bis sie persönlich in die Redaktion kamen. Als Marketing-Instrument sind solche Besuche aber durchaus üblich.

Bei den Onkelz lag der Fall ganz anders. Die hatten keinen Majorvertrag, deren damaliger Plattenboss hatte quasi Hausverbot bei uns. Wenn eine Band überhaupt keine Lobby hatte, dann die Onkelz zu diesem Zeitpunkt. Sie sind als absolute Feindbilder bei uns ins Büro marschiert. Anschließend habe ich angefangen, an meiner eigenen Einstellung zu zweifeln. Ich habe danach lange im Umfeld der Gruppe recherchiert, und mir wurde bestätigt: Die Band ist okay, die haben sich tatsächlich geändert. Ich habe mir auch die Hintergründe der frühen Platten erklären lassen.

Die Prügeleien mit Türkengangs in Frankfurt?

Ich will das auf gar keinen Fall runterspielen. Ich bin nicht einer von den Leuten, die sagen: Die Jungs haben sich mit ein paar Türken geprügelt und halt einen Song darüber geschrieben – und alles ist Friede, Freude, Eierkuchen. Dieser Meinung bin ich ganz bestimmt nicht.

Welcher Meinung sind Sie?

Ich bin der Meinung, dass die ersten Jahre der Onkelz schon richtig scheiße waren. Es gab genügend Gründe, die Band damals abzulehnen. Ich sehe die Band als Beispiel für eine Wandlung zum Positiven. Nach zwei Jahren intensiver Recherche habe ich mich mit Stephan Weidner getroffen, dem Sprachrohr der Band. Und dann habe ich ihn mit all den Sachen konfrontiert: dass sie auf Parteitagungen und Nazitreffen aufgetreten wären, was alles – mit einer einzigen Ausnahme – nicht stimmt. Auch hat die Band nie einen Text über das „Judentum“ geschrieben, was ihr – auch von der taz – vorgeworfen wurde. Ich habe den ganzen Mülleimer über Stephan ausgeschüttet und hatte danach den Eindruck, dass er viele Sachen plausibel erklären konnte und sich glaubhaft geändert hatte.

Die Onkelz wissen also, was sie sagen?

Ja, aber sie sind keine politischen Agitatoren. Die Band an sich ist intelligent, hat aus ihren Fehlern gelernt und lebt das auch ihren Fans vor. Allerdings – und das ist der Grund, warum so viele Leute Amok laufen – sagen sie’s auf eine Weise, die ihnen erlaubt, nicht das Gesicht zu verlieren. Das ist wichtig, weil’s sonst kein Umdenken bei den – ich nenn’ sie mal „gefährdeten“ Fans geben würde.

Man muss sich also bekennen, so oder so?

Ich habe schnell gemerkt, dass man sich in ein Lager schlagen muss, wenn man sich mit den Onkelz beschäftigt. In dem Moment, in dem du den Namen Onkelz in die Öffentlichkeit trägst, wirst du von so vielen Leuten angefeindet, dass du gar nicht anders kannst, als klar Stellung zu beziehen. Wir stehen jetzt als „rechtsradikales“ Magazin da, obwohl wir das Gegenteil sind.

Nun sind aber die grässlichen Texte in der Welt . . .

Auch da muss man unterscheiden – nämlich zwischen den alten, unentschuldbaren Entgleisungen und den jüngeren, sprachlich vielleicht nicht für jedermann erträglichen Straßentexten. Letztere sind vielleicht hart und anstößig, haben aber nichts mit Politik zu tun. Das ist einfach Rock ’n’ Roll. Da gehört auch immer ein Stück zielgerichtete Rebellion dazu – und das ist ja das, was die taz abstreitet. Die taz sagt: Die Onkelz kämpfen gegen Windmühlen, sagen aber nie genau, wogegen sie kämpfen, damit sich jeder sein Feindbild selbst zusammenschrauben kann.

Und das stimmt nicht?

Nein. Texte wie „Worte der Freiheit“, die sich explizit an enttäuschte, vielleicht gewaltbereite Leute in der Ex-DDR richten, haben mich beeindruckt und zeigen, dass diese Band sehr wohl weiß, was sie tut und wen sie wie anspricht. Jeder, der sich etwas intensiver mit den Texten der Onkelz beschäftigt, wird verstehen, warum sie solch eine Faszination auf die Fans – und zwar im positiven Sinne – ausüben. Gleichzeitig stehen die Onkelz zu ihrer Vergangenheit, das ist ja das Problem, zum Beispiel für die taz, aber es macht die Band gleichzeitig auch glaubwürdig.

Wieso?

Ich und du, wir können die rechten Fans der Onkelz, die vielleicht fünf bis zehn Prozent ausmachen, nicht ansprechen, weil wir sowieso im „falschen“ politischen Lager sitzen. Die Onkelz aber können das – und sie tun es auch. Ich habe von sehr vielen Lesern Resonanz bekommen, die mir beweist, dass diese Band durchaus eine politische Macht hat und Leute zum Umdenken bewegen kann. Die Onkelz sind für mich die einzige Band in Deutschland, die eine solche Macht hat.

Und die Toten Hosen?

Richtig, beide Bands haben sowohl musikalisch als auch von den Fans her eine große Schnittmenge. Die Hosen kommen aus einem weniger brenzligen Umfeld, bewirken dafür aber politisch weniger. Ich find’s auch gut von Campino, überall den Punk zu spielen. Aber das bewirkt nichts bei den Leuten, um die es uns im Moment geht.

Männlichkeitsgehabe und Rudeldenken bewirken mehr?

Das sollte man nicht so krass sehen; das ist halt Rock ’n’ Roll – der hatte immer schon ein martialisches Gehabe, das gehört dazu. Man muss unterscheiden zwischen Attitüde und Aussage. Das machen die Außenstehenden nicht. Die Kids wissen genau, was echt ist und was nicht.

Es gibt viele Magazine, die schon mit der Leni-Riefenstahl-Ästhetik einer Band wie Rammstein Probleme haben.

Wer sich davon provozieren lässt, dem ist nicht mehr zu helfen.

Provokation verkauft Platten. Wo verläuft die Grenze?

Da, wo man mit der Berichterstattung das Gegenteil dessen erreicht, was man will. Das werfe ich auch der taz vor: Fans der Onkelz als rechtsradikales Idiotenpack zu brandmarken – was ja für einen kleinen Prozentsatz tatsächlich zutrifft –, das zwingt doch den 16-Jährigen dazu, sich zu solidarisieren, vielleicht auch mit Typen, mit denen er sonst nie in Berührung gekommen wäre. Gerade wenn sie nicht so helle sind, dann heißt es irgendwann: Okay dann sind wir halt so. Es ist einfach schlauer, in diesem Bereich die Band arbeiten und zu Wort kommen zu lassen.

Damit die segensreich auf ihr Publikum einwirkt?

Auch wenn’s kitschig klingt: Ja. Die stehen dazu, schneiden nichts ab, sind auch nicht plötzlich Freunde von den Leuten, die sie jahrelang angefeindet haben, aber sie sagen zu ihren Fans: Wir leben jetzt nicht mehr so, und das könnt ihr vielleicht auch.

Fotohinweis: GÖTZ KÜHNEMUND ist Chefredakteur des Musikmagazins Rock Hard und Onkelz-KennerFOTO: PRIVAT