joachim lottmann: Der Grüne Heinrich
: Stürzt der Grüne Heinrich den Außenminister?

Der taz-Sommerroman von Joachim Lottmann (letzte Folge): Ministerialrat Dr. Rezzo „Zwölfzylinder“ Heinrich (45, Die Grünen) will nach einem heißen Sommer nicht mehr alle Frauen Berlins. Er will dem Außenminister treu sein. Und er will seine Frau. Eine dialektische Situation

Was bisher geschah: Dr. Heinrich geht mit der vierten Frau des Außenministers aus.

Sie kamen an der „Ständigen Vertretung“ vorbei, dem Lokal der bonnseligen Altpolitiker. Hier bekam Rezzo stets eine Sonderbehandlung, die Kellner waren seine Komplizen, wenn er eine neue Nachtmaus zu beeindrucken hatte. Diesmal nicht.

Alle beachteten Dörte, brachten ihr sofort den Caipirinha mit doppeltem Zucker, während er dreimal vergeblich bestellte. Der Außenminister vermittelte gerade zwischen Arafat und Scharon, was ihm die Sympathien aller Deutschen, auch der Kellner, eintrug. Und Dörte war halt immer noch seine Frau und damit der Star an dem Tisch. Doktor Heinrich war nicht recht inspiriert dadurch. Mühsam quälte er sich durch Gott-und-die-Welt-Themen. Dörte betrank sich . . .

Verliebt hatte er sich schon früher in Dörte (nur wieder vergessen). Er hatte sie sogar einmal besuchen wollen. Aber ihr Namensschild war plötzlich abmontiert gewesen. Nachbarn erzählten, die junge Frau sei nachts mit ihrer wenigen Habe und einem Katzenkörbchen getürmt.

Ja, die Nachbarn dort, noch echte Ossis. Denen entging nichts. Auf die konnte sich ein deutscher Minister verlassen. Die erzählten ungefragt, die Zielperson solle in das Haus der ehemaligen so genannten „K 1“ am Stuttgarter Platz verbracht worden sein. Sie sprachen das Wort so verboten aus wie nur möglich.

Schon damals hatte Porsche Dörte gesucht. Nun saß sie vor ihm. Er wollte sie an sich reißen, ihr alles sagen, beherrschte sich aber. Der Außenminister war sein lebenslanges Vorbild. Ihm wollte er treu sein. Noch. So ermunterte er sie nur, zu reden. Zur Sprache zurückzufinden. Aber fast nie sprach sie über ihre Ehe. Noch nicht. Er erst recht nicht, das schaffte Vertrauen. Nur einmal versuchte er es, doch sie nuschelte ein „Das geht dich einen Dreck an“ . Aber das machte ihn nur noch sicherer. Erst tief in der ersten Liebesnacht, in den ersten schwarzgrauen Schlieren der beginnenden Dämmerung, würden sie eines Tages über IHN reden, radikal, ohne Rücksichten gegen sich und andere. Würden Verrat üben und Rache.

Heute aber plapperte das schöne Mädchen im zeitlosen Raum der Schulzeit, und ihm gefiel’s! Offenbar hatte sich das Schulfeeling seit der Feuerzangenbowle nicht prinzipiell geändert. Wohlig badete er im lauwarmen Flüsschen ihrer harmlosen Biografie, und ihre Stimme machte eine Wandlung durch. Eben noch unsicher und vom Leben verprügelt, entwickelte Dörte im Flow ihrer Erinnerung eine nicht uncoole, von trockenem Humor getragene, sexy-provokante Teenagerstimme, wie ein zweites Ich. Nein, ein wahres Ich.

„Bei mir wirst du es gut haben“, dachte er, als er sich losriss. Er hatte ihr Versprechen, sie würde zur Kat-Präsentation kommen. Das Leben hatte wieder einen Sinn. Er ahnte es nicht, und doch beschützte ihn in der nächsten Zeit ein Instinkt, der sagte: Dörte liebt dich nicht, noch nicht. So hielt er sich zurück. Seine Porsche-goes-Umwelt-Präsentation nahm ihn nun ganz in Anspruch. Er wollte es richtig gut machen, und die Summen, die die Zuffenhausener Firma ihm dafür diskret zufließen ließ, waren ihm gar nicht mehr wichtig. Was war schlecht am umweltfreundlichen Zwölfzylinder? Das würde er sogar ohne Geld machen – für sie . . . Hoffentlich machte Reuters was darüber (es war ja kein internationales Thema), nicht wieder bloß einen Achtzeiler. Es sollte sich auch für Dörte lohnen. Gemeinsame Ziele brauchte die Liebe, das hatte er schon bei Wilhelm Reich gelesen . . .

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DAS IST DOCH prima, bis hierhin, liebeR LeserIn, nicht wahr?

Nun muss die keimende Liebe massiv bedroht werden, denn verliebte Herzen müssen durchs Feuer gehen, um sich (Zauberflöte, Schwarzwaldklinik, Tomb Raider etc.) als würdig zu erweisen. Doch der Sommer ist zu Ende und damit der Platz für den Sommerroman! Deshalb kann der Autor nur noch anreißen, wie es wohl ausgehen würde.

Erstes dramaturgisches Problem der nächsten Folge: Wie will Porsche eigentlich liebenswert erscheinen, wenn er bestechlich ist? Vielleicht erweist sich daher als der eigentlich Bestechliche ein Mitarbeiter Porsches, ein gewisser Kevin aus der ehemaligen Ostzone, der eine ziemlich dicke Kaderakte hat, von der nur Porsche, die Firma, etwas weiß. Für die also macht er Wühlarbeit und hat Rezzo den vollen Einsatz für den Porsche-Kat eingeredet. Und dafür kassiert er. Aber das weiß man alles erst später. Rezzo, bildet sich Kevin seit einigen Tagen ein, ist komisch zu ihm. Weiß er Bescheid? Kevin tritt bei ihm die Türen ein, um zu suchen. Rezzo findet eine ziemliche Sauerei vor, als er von Dörte schwärmend nach Hause kommt. Selbst die Bon-Jovi-CD sowie die liebevoll gehortete Jimi-Hendrix-„Scheibe“ – so sagte man ja früher – ist zerbrochen. Porsche wird „fahrig“ (hahaha), beginnt zu trinken. Er wird paranoid. Und der Einzige, dem er wirklich traut, ist dieser Kevin.

Gleichzeitig wird aber auch Dörte beschattet. Von den Leuten des Außenministers, die aber ziemliche Flaschen sind. Dörte hat ein Foto vom Außenminister, wie er beim PLO-Kongress 1969 an einer Exekution israelfreundlicher Kollaborateure als Beobachter teilnimmt. Rezzo, von Eifersucht betäubt, will den Außenminister stürzen, und Dörte will es auch. Heinrich sagt, ausgerechnet zu Kevin, dass der sich um Dörtes Schutz kümmern soll. Und der, als Romeo in der „DDR“ ausgebildet, rückt dem wehrlosen Reh auf die Pelle, schon ist er dabei, seinen Mielke-geprüften Hammer-und-Zirkel-Prügel rauszuholen, als Rezzo hinzukommt, sie rettet und Kevin, die Schweinebacke, besiegt wie ein in dieser plumpen Körpermasse nie vermuteter Sankt Georg.

Dabei lässt er gleichzeitig die Bestechlichkeit und den Konzern auffliegen und gibt dem Kapitalismus seine Werte zurück.

Sein Selbstbild vom Best Lover in town bekommt Risse, als er bei Militärsprecherin Angie Tiger den wachhabenden Offizier im Bett findet, sodass er dem Sexismus abschwört und die Praktikantin Maria entlässt und durch eine bebrillte Studentin (Examensarbeit in Theaterwissenschaft über Jane Bowles) ersetzt.

Zum Schluss sitzt er mit Dörte in der Toskana und stößt mit einem guten Roten mit ihr an – und draußen läuft ein nun unbeweibter Jogger vorbei und schaut gelb vor Neid auf Rezzo und ruft dann Madeleine an und fragt, ob sie nicht noch einen tüchtigen Knochenbrecher aus ihrem Vorrat zur Verfügung stellen kann für einen Sonderjob . . . E N D E