Rechtspopulist erobert Hansestadt

aus Hamburg PETER AHRENS

Die Festung ist kurz davor, geschliffen zu werden. 44 Jahre haben Sozialdemokraten in dieser Stadt regiert, undenkbar, dass es einmal anders sein könnte. Walther Leisler Kiep hat es in den 80er-Jahren für die CDU einmal fast geschafft, die SPD-Herrschaft zu brechen, aber am Ende war doch wieder alles, wie es immer in Hamburg war: Der Bürgermeister trug ein SPD-Parteibuch, egal, ob er Hans-Ulrich Klose, Klaus von Dohnanyi oder Henning Voscherau hieß.

Seit 1997 sitzt Ortwin Runde für die SPD im Bürgermeisterzimmer des Rathauses und schaut von dort auf die Binnenalster. Ein Blick, den er sich gut einprägen sollte. Nie war der Machtverlust der Hamburger Sozialdemokratie so nah wie jetzt, drei Wochen vor der Bürgerschaftswahl am 23. September.

Im rot-grünen Senat versteht man seit Monaten die Welt nicht mehr. Schließlich hat man für diese Stadt doch alles getan: man hat die Arbeitslosigkeit um fast ein Drittel gesenkt, man hat der Wirtschaft den roten Teppich ausgerollt, damit sie sich in Hamburg wohl fühlt. Nur ein Beispiel: Der rot-rüne Senat ließ das Naturschutzgebiet Mühlenberger Loch zuschütten, damit der Airbus-Konzern hier in Hamburg sein Großflugzeug A380 baut und nicht nach Toulouse zieht. Und schließlich hat man sogar alles dafür getan, dass die U- und S-Bahnhöfe endlich sauberer werden. Doch was ist der Dank?

Von Meinungsumfrage zu Meinungsumfrage sackt die SPD weiter ab. Nur noch 34 Prozent der Wähler und Wählerinnen wollen ihr Kreuzchen bei der Sozialdemokratie machen, so wenig wie nie in der Hamburger Nachkriegsgeschichte. Dass die CDU mit ihrem Herausforderer Ole von Beust auch nicht in die Puschen kommt und bei mageren 28 Prozent herumdümpelt, ist da nur ein schwacher Trost. Denn die Gefahr droht der regierenden Koalition nicht von den Christdemokraten – mit der ist die Hamburger SPD noch immer fertig geworden.

Was die sozialdemokratische Welt dagegen richtig durcheinander bringt, ist die Tatsache, dass die Meinungsforscher für die Partei des Richters Ronald Barnabas Schill mittlerweile 15 Prozent errechnet haben.

Inhaltlich ist Schills „Partei Rechtsstaatlicher Offensive“ ein politisches Leichtgewicht: Wirtschaftspolitik? Umweltschutz? Frauenförderung? Wohnungsbau? Zukunftskonzepte für eine Millionenstadt? Komplette Fehlanzeige. Nicht mehr als ein paar lückenfüllende Sätze im Parteiprogramm, damit man diese Felder auch abgedeckt hat.

Ein persönlicher Rachefeldzug

Schill geht es allein um eines: Er ist auf dem persönlichen Rachefeldzug in Sachen Innere Sicherheit, und es kann gut sein, dass er ihn gewinnt. Seit die SPD-geführte Justizbehörde den Amtsrichter wegen seiner unangemessen harten Urteile zwangsversetzte, will Ronald Schill es dem Senat zeigen. Da macht einer Politik aus gekränkter Eitelkeit, seine Waffe heißt Rechtspopulismus, und seine Kombattanten sind die zu kurz gekommenen Kleinbürger aus den Hamburger Vorstädten.

Da, wo die Hochhaussiedlungen aus den 70er-Jahren stehen, in denen die wohnen, die Politik eigentlich längst abgeschrieben haben. Da, wo Innere Sicherheit ein Topthema ist, dort leben die Wähler und Wählerinnen Schills. Sie alle geben sich einer Stimmung hin, von der die SPD bei der Abwahl von Bundeskanzler Helmut Kohl durch die Wahlen 1998 noch profitiert hat. Und die sich nun gegen sie wendet: Die Hamburger können die seit Jahrzehnten vertrauten Politikergesichter nun nicht länger ertragen. Etwas Neues soll her, ob es besser ist, ist fast egal. Ihr Hoffnungsträger ist Schill, der Mann, der sich selbst als „personifiziertes Protestpotenzial“ bezeichnet und der zudem von den Springer-Medien Bild und Welt zum Phänomen hochgeschrieben wurde.

Und so muss der 42-jährige beurlaubte Richter im Wahlkampf kaum einen Finger rühren. Dass sich mehr als 80 prominente Künstler von Will Quadflieg über Hardy Krüger bis Marius Müller-Westernhagen öffentlich gegen Schill engagieren, dass er von SPD-Generalsekretär Franz Müntefering als „gefährlicher Reaktionär“ bezeichnet wird, das alles beeinflusst die Stimmung in der Stadt nicht. Zu einer öffentlichen Auseinandersetzung zwischen dem Senat und Schill aber kommt es erst gar nicht. Denn Bürgermeister Runde und seine grüne Stellvertreterin Krista Sager lehnen es beharrlich ab, sich mit dem Rechtspopulisten an einen Podiumstisch zu setzen.

Die CDU braucht dieFDP und Schill

Dieser Mann, so unberechenbar und unpolitisch er ist, bildet für den Herausforderer von der CDU die einzige und letzte Chance, endlich Bürgermeister zu werden. Und so hat sich Ole von Beust schon im Februar auf eine Koalition mit dem Richter festgelegt. Obwohl er ansonsten gern betont, dass Schill eigentlich nur bei Fragen der Inneren Sicherheitsbekämpfung programmatisch etwas anzubieten hat.

Gemeinsam haben CDU und Schill inzwischen fast so viele Stimmen wie das rot-grüne Lager, aber eben nur fast. Zum Regieren fehlen von Beust noch ein paar Prozent – und da kommt die Partei ins Spiel, an die in Hamburg noch vor einem Jahr überhaupt niemand mehr dachte: Die FDP. Die Hanse-Liberalen waren ein zerstrittener, intriganter Haufen, der sich ausschließlich mit sich selbst beschäftigte und von der Fünfprozenthürde nicht einmal zu träumen wagte.

Dann kam der Westerwelle-Effekt, und plötzlich sonnt sich Spitzenkandidat Rudolf Lange in der Rolle des Königsmachers. Beharrlich verweigert der pensionierte Leiter der Führungsakademie der Bundeswehr mit dem Dienstgrad eines Konteradmirals jede Koalitionsaussage. Mal drischt er auf den Senat ein, der „der Bremser jeden Fortschritts ist“, und richtet eine Anti-Filz-Hotline ein, auf der Bürger ihrem Unmut über den SPD-Klüngel Luft machen sollen. Dann wiederum äußert er „großes Verständnis“ für die Künstler, die sich gegen Schill engagieren, und spielt mit der Option einer Ampelkoalition.

Am Ende könnte sich der Admiral allerdings verrechnet haben: Erstmals seit Monaten sinken die Werte für die FDP wieder, und die Partei muss um den sicher geglaubten Einzug ins Parlament bangen.

Nur wenn die Liberalen die Fünfprozenthürde nicht nehmen, hätten SPD und die Grün-Alternative Liste (GAL), die Möglichkeit, weiterzuregieren. Die GAL mit Spitzenkandidatin Krista Sager, die laut Umfragen um die 10 Prozent liegt, weiß das genau. Deshalb beschimpft Sager den FDP-Mann öffentlich als Rechtskonservativen, „der sich zur Macht schleimen will“, und erzählt überall, dass die FDP im Stillen längst entschieden habe, mit CDU und Schill ins Bett zu steigen.

Ausgerechnet die GAL, die in den vergangenen vier Jahren einen ganzen Berg von SPD-Kröten geschluckt und ihren linken Flügel nach dem Kosovokrieg endgültig entsorgt hat, entdeckt nun den Lagerwahlkampf wieder. Hier Rot-Grün, dort der Rechtsblock. Sager selbst hat ihr politisches Schicksal mit der Fortsetzung der SPD-GAL-Koalition verknüpft, für eine Ampel werde sie nicht zur Verfügung stehen. Das ist für sie „ein Stück Glaubwürdigkeit“, aber gleichzeitig ist es natürlich auch Taktik: Sager hofft, mit dem Schreckgespenst Schill auch die Wähler noch einmal für die GAL mobilisieren zu können, die von der farblosen Regierungsvorstellung der Partei enttäuscht sind.

Auf enttäuschte Grün-Wähler spekuliert allerdings auch der „Regenbogen“, eine Gründung von GAL-Mitgliedern, die 1999 die Partei aus Protest gegen den Kosovokkrieg verließen und nach einer Forsa-Meinungsumfrage inzwischen von 1 auf 3 Prozent kletterten. Was sie nicht zuletzt ihrem prominenten Wahlkampfhelfer Gregor Gysi zu verdanken haben.

Von einer Koalitionsvariante aber spricht in diesen Wochen überhaupt niemand mehr. Von einer SPD-CDU-Regierung will keine der beiden großen Parteien etwas wissen, auch wenn dies die Wunschverbindung der einflussreichen Hamburger Handelskammer wäre. Schließlich sind auch die Unternehmer der Hansestadt nicht gerade beglückt bei der Vorstellung, dass ein Populist des rechten Flügels Innensenator werden könnte. Doch dürfte die Kammer mit diesem Wunsch auf Granit beißen: Die CDU wittert, dass sie so etwas wie den Schill-Faktor vielleicht nur einmal geboten bekommt. Wenn sie es diesmal nicht schafft, regiert die SPD womöglich noch die nächsten 44 Jahre weiter.