Wie eine sehr feine Salatplatte

■ Einundzwanzig Konzerte, kredenzt an sieben Spielorten. Das Musikfest nahm seinen nächtlichen Anfang in der Bremer Innenstadt. Ein Potpourri der Stile sorgte für einen lebendigen Start des Traditionsfestes

Als Thomas Albert vor gut zwölf Jahren „sein“ Musikfest konzipierte und gründete, ging es ihm – damals fast missionarisch entschlossen – um Musik in ausgesucht exemplarischen Wiedergaben, um den allerersten interpretatorischen Stand. Und es ging ihm – im Unterschied zu vergleichbaren Festivals – um die „Vermeidung der bunten Salatplatte“ zugunsten innovativer und aufschlussreicher Programme.

Die Verwässerung dieses Konzeptes zeichnet sich seit Jahren ab, und mit immer mehr Sponsoren sind die Konzerte des Musikfestes sowohl in Programmen als auch in Interpretationen immer beliebiger geworden. Was nicht heißt, dass sie nicht nahezu alle toll gewesen wären. Immer wieder gab es exklusive Thomas-Albert-Ausgrabungen, dessen Name nach wie vor für verlässliche und größte Kompetenz bei den Künstlerengagements steht.

Und nun? 2001? Seit zwei Jahren ist das Musikfest zu Anteilen bei der Hanseatischen Veranstaltungs GmbH verankert, die dem künstlerischen Leiter Thomas Albert die künstlerisch nicht weniger kompetente Geschäftsführerin Ilona Schmiel aufgedrückt haben. Mit ihr zusammen ist die Salatplatte nun Konzept – ausdrücklich, denn beide wollen für alle Menschen Musik machen.

Nur eben kein Kopf- und Eisbergsalat in Mayonnaise, sondern feine Blattsalate mit Himbeer/Nussöl-Vinaigrette. Mindestens, denn auch Bürgermeister Hartmut Perschau benutzte in seiner launigen und begeisterten Rede zum Eröffnungsempfang mehrfach das Wort „Gourmet“.

Und nun muss unumwunden den beiden Verantwortlichen und natürlich den vielen Menschen, die eine atemberaubende logistische Leistung hinter sich haben, bestätigt werden, dass „Eine grosse Nachtmusik“ rundherum gelungen ist. Der Auftakt des Musikfestes: einundzwanzig Konzerte, kredenzt an sieben Spielorten.

Die zunächst einmal risikoreiche Idee, die Bremer Innenstadt vollkommen auszuschöpfen, kreierte neue, nie bespielte Orte wie einen Festsaal im Schütting, den Innenhof des Landgerichtes und den Sitzungssaal der Bremer Bürgerschaft: „Hier ist wahrscheinlich noch nie so gut zugehört worden“, meinte ein Besucher nach KlausMaria Brandauers Lesung. Zusammengebunden wurde alles durch den österreichischen Lichtdesigner Christian Weissenfels, der in dieser Nacht mit Tausenden von Watt unsere Innenstadt unnachahmlich präsentierte.

Tausend Jahre Musikgeschichte in unzähligen Gattungen und Stilen: Alle Konzerte dauerten eine Dreiviertelstunde, in der nächsten Dreiviertelstunde Pause traf man sich, besprach sich, hatte Zeit zu sehen und gesehen zu werden. Dann wieder Konzert, dann wieder Pause, dann das letzte Konzert.

Das Konzept ging auf: Fast alle Konzerte waren ausverkauft und das heißt, dass an diesem Abend ca. Zehntausend Menschen flanierten: „Wo geht ihr denn jetzt hin?“ war der Satz, der wie ein Sprung in der Schallplatte den Abend strukturierte. Der Abend bot sozusagen u.a. einen Querschnitt durch eine Interpretenriege, die seit zwölf Jahren treue Gäste des Musikfestes sind: das nach wie vor hinreißende Hilliard-Ensemble, die Deutsche Kammerphilharmonie. Aniello Desiderio...Die Mischung zwischen ganz alt und ganz neu, die Besetzungen von Solo bis Orchester, die Mischung von vokal und instrumental, das Potpurri der Gattungen war ebenso eindrucksvoll wie das durchgehend hohe und höchste Niveau der Interpretationen selbst. Schade, dass der Auftakt des Festes einen kleinen Schönheitsfehler hat. Die Werknennung im Programmheft ist höchst mangelhaft, es fehlen außerdem die Texte. Beim Monteverdikonzert des Hilliard-Ensembles zum Beispiel wurden weltliche und sakrale Werke zwischen 1582 und 1625 gesungen. Der große Stilwandel, den Monteverdi um 1600 erfunden hat, erfordert einen kleinen Hinweis. Wie auch die Kenntnis der Texte von großem Vorteil gewesen wäre. „Ja, was singen sie denn?“, möchte man in Abwandlung des Loriot-Bonmots fragen. Und das bei einem Komponisten, dessen wichtigste ästhetische Maxime „prima le parole, poi la musica“ war.

Auch im Konzert der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen überrumpelten uns Eva Mei und Bruno Prattico mit Duetten des italienischen Bel Canto-Komponisten Gaetano Donizetti, deren Inhalt wir nicht kannten. Das Publikum wäre froh gewesen um jeden Hinweis: Es applaudierte bei der geringsten szenischen Andeutung dankbar.

Ansonsten bescherte dieses Konzert unter der Leitung von Pierre Dominique Ponnelle gewohntes und damit höchstes Kammerphilharmonieglück, das Orchester konnte mit drei ausverkauften Konzerten seine bremische Standorteroberung geradezu beweisen. Eine Zuhörerin allerdings: „Also, mit der Kammerphilharmonie, mit der kannst Du mich jagen!“, worauf ihre Freudin konterte: „Wenn noch mehr so denken wie Du, dann gibt's endlich wieder Karten!“.

Den Mangel an inhaltlichen Hinweisen machten „Hille Perl&Friends“ durch Ansagen wett. Auch das geht. Das kleine Konzert im Schütting mit Hille Perl, Viola da Gamba, Steve Player, Gitarre und Tanz, und Lee Santana, Laute und Chitarrone, zeigten mit aller Deutlichkeit, dass alte Musik weder still, noch langsam, noch einseitig besinnlich ist. Im Gegenteil, ihre Wiedergaben mit Werken von Diego Ortiz, Vincenzo Bonnizzi und Girolamo Kapsberger strotzten nur so vor rhythmischer, virtuoser und klangfarblicher Spannung und vor allem einer glänzenden dramaturgischen Zusammensetzung, der der Tänzer Steve Player eine feine Sahnegarnierung zukommen ließ. Alles in allem: perfekt, perfekt ausgedacht, perfekt organisiert, vergessen jede kleine Meckerei.

Ute Schalz-Laurenze