Fußangeln für die Zuwanderung

aus Berlin SEVERIN WEILAND

Am Anfang gab es viel Lob – aus vielen Gründen. Ein „Paradigmenwechsel“ sei der Entwurf für ein neues Zuwanderungsgesetz aus dem Haus des Innenministers Otto Schily, lobte beispielsweise der SPD-Fraktionsvize Ludwig Stiegler. Weg von einer auf Abwehr bedachten, hin zu einer gesteuerten Zuwanderungspolitik führe das Regelwerk. Die oppositionelle Union befand, man fühle sich durch den Entwurf in der eigenen Haltung bestärkt. Auch von vielen Grünen kamen zunächst positive Reaktionen, auch wenn Parteichefin Claudia Roth einschränkend meinte, sie müsse den Entwurf erst einmal genauer studieren, und bald erste Bedenken anmeldete.

Die Bedenken sind mittlerweile gewachsen – nicht nur die der Union, weil ihr der Entwurf doch nicht restriktiv genug ist. Unter dem Druck von Menschenrechtsorganisationen und Wohlfahrtsverbänden, aber auch wegen mahnender Stimmen aus der Partei selbst nimmt auch der grüne Koalitionspartner Stück für Stück Abschied vom Entwurf. Der Vorschlag des Innenpolitikers Cem Özdemir, nur noch den arbeitsmigrationsrechtlichen Teil zu verabschieden, gewinnt in der Partei an Zustimmung. Andere, wie die bayerischen Grünen, haben gründliche Nachbesserungen verlangt, andernfalls solle man das Gesetzeswerk in dieser Legislaturperiode nicht verabschieden. Vieles, was das Ministerium in dem Entwurf erarbeitet hat und Schily als Verbesserung darstellt, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als widersprüchlich.

Ein bisschen Schlamperei

Beispiel Arbeitsmigration: Wird dem Ausländer künftig die Arbeitserlaubnis entzogen, verlöre er nach dem Entwurf auch noch das Aufenthaltsrecht. Dies soll auch bei „veränderter Arbeitsmarktlage“ geschehen. Zwar gibt es diese Regelung bereits im Arbeitserlaubnisrecht, doch war sie bis heute weitgehend theoretischer Natur. Jetzt steht sie im Gesetzentwurf und unterstreicht dessen restriktive Elemente. Generell ist die Regelung des Widerrufs widersprüchlich: Im entsprechenden Paragrafen 52 heißt es, der Aufenthaltstitel könne „nur“ widerrufen werden, wenn der Ausländer keinen gültigen Pass oder Passersatz besitzt; wenn er seine Staatsangehörigkeit wechselt oder verliert; wenn er noch nicht eingereist ist oder seine Anerkennung als Asylberechtiger beziehungsweise eine Rechtsstellung als Flüchtling erlischt oder unwirksam wird. Auffallend ist hier die Einschränkung durch den Zusatz „nur“. Denn in Paragraf 41, der den Bereich der Arbeitsämter betrifft, werden weitere Gründe genannt, warum dem Ausländer sein Aufenthaltstitel entzogen werden kann – so im Fall einer Beschäftigung „zu ungünstigeren Arbeitsbedingungen als vergleichbare deutsche Arbeitnehmer“ oder eben aufgrund der „Arbeitsmarktlage“. Hier haben die Verfasser des Entwurfs offenbar geschlampt oder schlichtweg zwei Häuser – Arbeits- und Innenministerium – aneinander vorbeigearbeitet.

Schily hatte auch größere Flexibilität im Bereich der Arbeitsmigration und höhere Rechtssicherheit angekündigt. Zum Teil wird dem Rechnung getragen: etwa für Studenten, die im Anschluss an ihr Studium einen Job suchen können. Doch gegen die Planbarkeit von Lebensentwürfen spricht ein Passus in Paragraf 8 des Entwurfs, der die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis regelt. Nun heißt es dort: Der Aufenthaltstitel „kann“ nicht verlängert werden, wenn „die zuständige Behörde dies bei der Erteilung oder der zuletzt erfolgten Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis ausgeschlossen hat“. Das erweitert den Spielraum der Behörden gehörig. Bisher war der generelle Ausschluss einer Verlängerung nur für Inhaber einer Aufenthaltsbewilligung möglich, etwa für ausländische Studenten, die ihr Studium abgeschlossen haben. Nun könnten die Behörden einem Ausländer jederzeit eine Nichtverlängerung in den Pass stempeln und müssten sie bei einer erneuten Antragsstellung folglich hart bleiben. Ein solcher Grundsatz ist mit dem Stichwort „Sichere Lebensperspektive und Rechtssicherheit“ wohl kaum zu vereinbaren.

Ein bisschen böser Wille

Bei Menschenrechtsgruppen, aber auch Teilen der Grünen-Landesverbände stoßen zahlreiche Bestimmungen im humanitären Bereich auf harsche Kritik. So soll etwa die gesetzliche Regelung zu den Kontingentflüchtlingen gestrichen und die Entscheidung über eine eventuelle Aufnahme an die Innenminister delegiert werden. Diese müssen zudem darüber in der Innenministerkonferenz „einvernehmlich“ entscheiden – eine hohe Hürde. Diese Regelung würde auch die jüdischen Kontingentzuwanderer aus dem Bereich der früheren Sowjetunion treffen.

Leute, die lediglich „geduldet“ werden, sind die schwächste Gruppe unter den Ausländern – ihnen wird allenfalls zugesichert, dass sie bis auf weiteres nicht abgeschoben werden. Derzeit haben 260.000 Menschen in Deutschland diesen Staturs. Oftmals wurden und werden Duldungen über Jahre verlängert – mit allen damit verbundenen Unsicherheiten und Belastungen für die Betroffenen. Die Duldung, so hatte Schily festgestellt, sei zu einer Art Ersatzaufenthaltstitel geworden. Eine neue Lösung müsse her, die den Menschen mehr Sicherheit biete. Nun wird zwar die Duldung abgeschafft, doch tritt an ihre Stelle zumeist kein Aufenthaltstitel, sondern allenfalls eine an mehreren Kriterien festgemachte Bescheinigung, die die Abschiebung aussetzt. Lediglich 6 Prozent der 260.000, so schätzt Pro Asyl, erhalten überhaupt eine Bescheinigung. Für die restlichen 94 Prozent der bisher Geduldeten wird es aber noch nicht einmal dieses Papier geben – eben für jene Flüchtlinge, deren Herkunftsstaat sie nicht wieder aufnehmen will oder zu denen eine Flugverbindungen schlichtweg nicht vorhanden ist. Die Regelung in Paragraf 60 könnte Rechtlosigkeit und Diskriminierungen Tür und Tor öffnen: Gerät einer der Flüchtlinge künftig in eine Polizeikontrolle, so kann er noch nicht einmal eine Bescheinigung über das „Verbot der Abschiebung“ vorweisen. Selbst für jene 6 Prozent, die eine Bescheinigung erhielten, würde sich die Lage nur verschlechtern: Konnten bislang geduldete Flüchtlinge damit rechnen, wie anerkannte Asylbewerber nach einem Jahr eine Beschäftigung aufzunehmen (falls keine Deutschen für die Tätigkeit zur Verfügung stehen), so ergeben sich aus der Bescheinigung keinerlei Rechtsfolgen. Kein Wunder, dass Pro-Asyl-Sprecher Heiko Kaufmann angesichts solcher Regelungen von einer „Katastrophe“ spricht.

Ungenauigkeiten sind auch an anderer Stelle des Entwurfs zu erkennen. Beim Nachzugsalter für Kinder, dessen Höchstgrenze von derzeit 16 auf 12 abgesenkt werden soll, zeigt sich ein rigider Ansatz. Auch die Ausnahmeregelung, die den Behörden einen Ermessensspielraum bei älteren Kindern zubilligt, ist im Kern eine Verschlechterung. Zumindest aber schafft sie Verwirrung. So kann laut Paragraf 32 einem minderjährigen Kind der Aufenthalt gewährt werden, wenn dieses „insbesondere“ ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache besitzt. Da stellt sich die Frage: Welche Kenntnisse neben der des Deutschen muss also ein ausländisches Kind noch mitbringen, um hierzulande durch eine Behörde Aufnahme zu finden?

Ein bisschen Gedankenlosigkeit

Schily lobte insbesondere die Vereinfachung des bislang ausgefächerten und komplexen Aufenthaltsrechts im Entwurf seines Hauses. Künftig solle es nur noch zwei Titel geben, verkündete der Minister. Die bisherige unbefristete Aufenthaltserlaubnis und die Aufenthaltsberechtigung sollen zu einem einzigen Titel fusioniert werden. Doch der Zugang zu einem unbefristeten Status, der neu geschaffenen so genannten Niederlassungserlaubnis, würde künftig für bereits hier lebende Ausländer nicht leichter, sondern schwieriger. Um eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis zu erhalten, reicht es bislang nach dem 1990 novellierten Ausländerrecht aus, sich auf einfache Art und Weise mündlich im Deutschen zu verständigen. Jetzt werden „ausreichende Kenntnisse“ der deutschen Sprache vorausgesetzt – also wohl auch im Schriftlichen. Das aber ist für viele ältere Ausländer, die zum Teil noch nicht einmal in ihrer eigenen Sprache lesen und schreiben können, eine kaum zu bewältigende Aufgabe.

Im Einzelnen erschwert der Entwurf schulisch und sozial schwachen Schichten von Ausländern den Zugang zur deutschen Gesellschaft. Für den Erwerb der (unbefristeten) Niederlassungserlaubnis etwa sind Grundkenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet notwendig, die „regelmäßig durch die erfolgreiche Teilnahme an einem Integrationskurs nachgewiesen werden können“. Doch wer legt die Kriterien für einen erfolgreichen Abschluss fest? Müssen künftig 55-jährige Migranten in VHS-Kursen Kurse absolvieren, um der Gefahr der Ausweisung nach Ablauf ihres Aufenthaltstitels zu entgehen?

Die lang anhaltende öffentliche Debatte um Pflichtkurse für Ausländer, insbesondere betrieben von der Union, wurde mit juristischem Feinsinn in einen Passus des Entwurfs eingearbeitet. Die Verlängerung der (befristeten) Aufenthaltserlaubnis soll jetzt auch davon abhängig gemacht werden, ob der Ausländer innerhalb von sechs Monaten an einem Kurs teilgenommen hat. Allerdings: Die Ausländerbehörde ist gehalten, vor der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis den Betroffenen in einem Beratungsgespräch auf die „Folgen seiner Pflichtverletzung“ hinzuweisen. Auffallend ist, dass zwar die Passagen über Integrationskurse allesamt bereits im Entwurf enthalten sind, über die Kosten und sonstigen finanziellen Grundlagen aber bislang keinerlei Sicherheit herrscht.

Der Gesetzentwurf des Bundesinnenministeriums befindet sich jetzt in der Feinabstimmung mit anderen Ressorts. Schily will bis zum 26. September eine Kabinettsvorlage ausarbeiten. Die Regierung ist auf die Zustimmung des Bundesrats angewiesen, in dem Rot-Grün keine eigene Mehrheit hat. Sie setzt deshalb auf Konsens mit der Opposition. Gestern Abend wollte sich Schily mit dem bayrischen Innenminister Günther Beckstein (CSU) und dem saarländischen Ministerpräsidenten Müller (CDU) zu einem ersten Gespräch treffen. Beckstein hat eine harte Linie angekündigt: Die Regierung müsse „unsere Eckpunkte zu 100 Prozent übernehmen“, um zu einer Einigung zu kommen (siehe Kasten).

Aber auch von der anderen Seite wird gegen den umstrittenen Entwurf gearbeitet: Die Grünen wollen heute im Parteirat ihre Haltung beraten. Und die sieben größten Wohlfahrtsverbände und Flüchtlingsorganisationen wie Caritas, Arbeiterwohlfahrt und amnesty international legen heute eine umfassende gemeinsame kritische Stellungnahme vor.