Mit dem Ohr auf der Wand

■ Form siegt über den Inhalt: „Romeo and Juliet“ der Performancegruppe Fanny & Alexander auf Kampnagel

Es ist die alte Shakespear'sche Geschichte der zwei Liebenden, die an ihren verfeindeten Familien scheitern und im gemeinsamen Tod getrennt und doch für immer vereint sind.

Die italienische Performancegruppe Fanny & Alexander setzt mit ihrer Performance Romeo and Juliet – Storia infelice di due amanti beim diesjährigen Laokoon-Sommerfestival auf Kampnagel genau bei diesem Moment des Todes an – und erzählt gleichzeitig etwas völlig anderes. Denn es gibt zwei Bühnen in dieser Inszenierung, eine Vorder- und eine Hinterbühne, die ein und dieselbe Darbietung aus zwei Perspektiven mit unterschiedlichen Verweisen ermöglichen.

Die Stimmung ist düster, bedrohlich. Nur durch einen transparenten Vorhang getrennt, erhebt sich die Bühne mit fünf Mikrophonen und einer Videoprojektion. Eine Tür links, eine rechts, dazwischen eine Wand. Ein paar Kätzchen streifen geisterhaft umher. Die gespenstische Atmosphäre wird von Blitzen durchzuckt, beschallt von einer bizarren elektronischen Geräuschkulisse. Romeo und Julia als Radiodrama in einer Art Minikino.

Der Prinz, der Vater, Julia, Romeo und Mercutio abwechselnd am Mikrophon, im Hintergrund Artilleriefeuer. Julia kündigt ihrem Vater ihren Freitod an, einziger Ausweg aus der hoffnungslosen Situation. Dann ruft sie die Wand an, die die Liebenden trennt: „O wall o lovly wall, that stand'st between his father's ground and mine...“ Es naht der Höhepunkt und das tragische Ende. Parallel leuchten Gesichter von Skulpturen auf der Leinwand auf. Grässlich verzerrter, von Zorn entstellter Marmor.

Am Ende fällt eine Ziegelmauer in der Mitte. Zuschauer dies- und jenseits der Mauer blicken sich an. Pause. Seitenwechsel. Nun Romeo und Julia als Hörspiel, als „Lec-ture“. Eine sakrale Szenerie sieht man jetzt, ein eisernes Gitter, brennende Feuer. Die fünf Schauspieler sitzen auf Stühlen und warten auf ihren Auftritt, den eine grüne Lampe jeweils ankündigt. Sie erheben sich, gehen durch eine der beiden Türen auf die Bühne hinaus. Die Zuschauer verfolgen die Szenerie hier per Kopfhörer. Doch da hören sie eine ganz andere Geschichte, in der ebenfalls eine Wand eine Rolle spielt.

Parallel zu den Shakes-peare'schen Liebenden, die sich nur wider die Eltern in kurzen Momenten begegnen können, wird hier die Geschichte von Pyramus und Thisbe nach Ovids Metamorphosen erzählt. Die beiden lebten in Babylon Wand an Wand und da auch ihre Väter die Verbindung untersagten, kommunizieren sie durch die gespaltene Hauswand. Nachts trafen sie sich heimlich. Als Thisbe von einer Löwin verjagt wird und Pyramus ihren zerrissenen Mantel findet, denkt er, sie sei getötet und begeht Selbstmord. Sie findet ihn und folgt ihm nach. Hier lauscht man der sonoren Stimme und imaginiert gleichzeitig das Geschehen auf der Bühne.

Bei dieser Performance von Fanny & Alexander siegt die Form über den Inhalt. Die zum Teil sehr radikalen und durchaus starken Szenen bleiben sich dabei relativ gleich. Es bewegt sich kaum etwas, es entwickelt sich nichts. Die Präsentationsformen, hier Schauspiel, dort Hörspiel, sind entscheidend – und natürlich das verbindende Element der Mauer, das auch zwei Geschichten verbindet. Die Italiener zitieren eifrig und offen bei der Societas Raffaello Sanzio bis hin zur visuellen Umsetzung und reichen an deren visuelle Fülle und inhaltlichen Reichtum doch nicht heran. Annette Stiekele

Fanny & Alexander, Performance 2: 5.+6.9., 20 Uhr, Kampnagel (k1)