Unbewusstes Wissen

Ab morgen zu haben: Mautizio Maggianis Roman „Königin ohne Schmuck“ gräbt in der Erinnerung kleiner Leute  ■ Von Christiane Müller-Lobeck

Ein besserer Umberto Eco sei Maurizio Maggiani, schrieb die Neue Zürcher Zeitung einmal. So sehr dies stimmt, könnte kaum ein Urteil weniger von Maggianis Romanen verraten. Sicher, auch er verlässt sich auf die Kraft der großen Erzählungen – und wie der im deutschsprachigen Raum vermutlich meistgelesene italienische Autor Eco widmet sich Maggiani his-torischen Stoffen. Doch mehr Gemeinsamkeiten dürften sich kaum finden lassen. Denn nicht nur verzichtet Maggiani völlig auf das Stilmittel der Ironie, auch gibt es für ihn an den vergangenen Epochen etwas ganz anderes und viel mehr zu retten als für Eco, den großen Apologeten der Postmoderne.

Die in Bergedorf ansässige Edition Nautilus hat nun Maggianis Roman Königin ohne Schmuck he-rausgegeben, in einer hervorragenden Übersetzung von Andreas Löhrer. Der 1951 geborene Maggiani, der auch als Gefängnislehrer, Fotograf, Cutter, Regieassistent, in der Werbung und in der Stadtverwaltung gearbeitet hat, fängt darin eine Geschichte ein, die in der Hafenstadt Genua ihr bebendes Zentrum hat und fast einhundert Jahre umspannt. Beginnend mit der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert folgt er seinen Figuren mal zurück in eine sardische Vergangenheit, von wo aus sie nach Genua migriert sind, mal vorwärts in eine Zukunft auf einer Insel im pazifischen Ozean.

Königin ohne Schmuck stützt sich auf die Geschichte der Liebe zwischen Sascia, die ihr Geld mit dem Strecken von Safran und der Erfindung weiterer gesetzeswidriger Verrichtungen verdient, und dem Kohlenschauermann Paride, doch der Roman ist viel mehr als das. Was Maggiani einzufangen versucht, ist die „verbotene Erinnerung“ kleiner Leute: „Ich wollte eine Geschichte über Menschen schreiben, die viel arbeiten, wenig reden und sich stolz ihre Freiheit erhalten haben.“

Maggiani sucht diesen Freiheitsdrang jedoch nicht im organisierten Kampf der Hafenarbeiter, sondern in eher kleinen Akten von Rebellentum, im Alltag seiner Figuren. Er sucht – und findet – auch seltsame Widersprüche darin, wie diese sich ihr Leben denken. So ist Tirreno, ein Freund und Kollege Parides, glühender Anhänger sowohl des Duce als auch von Lenin. Doch als die Deutschen Italien besetzen, zögert er keine Sekunde, mit Paride und drei weiteren Männern die Minen zu entschärfen, die im Hafenbecken der Stadt für den Fall eines Angriffs der Alliierten deponiert sind.

In die verbotene Erinnerung der kleinen Leute, zu dessen Anwalt sich Maggiani gemacht hat, ist – auch ohne große Manifestationen – ein nicht immer bewusstes Wissen eingelassen. Dort schlummert beispielsweise ein Wissen um besiegte Rebellen, um manchmal blitzartig hervorzukommen. Als Paride Ende der 20er-Jahre seinen Sohn auf dem Standesamt anmelden will, weiß er zunächst keinen Namen. Erst das nervöse Tacktacktack des Federkiels eines bornierten Beamten lässt ihn hervorstoßen: „Giacomo, wir nenn' ihn Giacomo un' Schluss.“

Giacomo, so erfahren wir vom Erzähler, ist der Vorname eines von den Massen verehrten und von den Trägern der Orbace-Uniformen ermordeten Kämpfers, und der hatte sich „in irgendeinem Winkel von Parides Seele eingenistet ... und hier hatte er ein warmes Lager genommen, auf dem er eine ganze Weile vor sich hin gedöst hat“. Dort, in den Sedimenten des Geschichtlichen, birgt Maggiani ein „Noch-nicht-bewusstes Wissen vom Gewesenen“, wie Walter Benjamin das einmal nannte. Und wer wird nicht bei dem langen Schlaf, den sich, wie Maggiani schreibt, „manche Ideen und manche Gefühle, die mächtig genug sind, ... erlauben, ohne sich deshalb auflösen zu müssen“ an Benjamins „heimlichen Index“ denken, den jede Vergangenheit mit sich führt. Maggiani hat sich, genau wie Benjamin es vom historischen Materialisten forderte, von dem unwiederbringlichen Bild dieser Vergangenheit gemeint gefühlt und es festzuhalten versucht.

Maurizio Maggiani: Königin ohne Schmuck, Edition Nautilus, 416 S., 44 Mark