Revoluzzer wider Willen

Rudolf Scharping hat eine heikle Mission übernommen – und die erfüllt er gnadenlos

Mit einem Mal wird Scharping für all das kritisiert, was man ihm früher zugute hielt

Jahrelang wurde die psychische Labilität Rudolf Scharpings ignoriert. Auf dem Parteitag 1995 wurde ihm der größte Beifall in seiner Karriere als Fußabtreter zuteil. Damals war Scharping der Einzige, der nicht merkte, dass ihn keiner mochte. Aber als manischer Triebtäter ließ er nicht locker und erpresste sich über den Mitleidsbonus den Job als Verteidigungsminister. Während des Kosovo-Krieges ließen sich die Schädigungen, die das jahrelange Rotieren als Hamster im Laufrad angerichtet hatte, besonders gut beobachten. Apathie, Denk- und Sprachstörungen, Weinerlichkeit, Aggressivität und Größenwahn traten als Symptome auf. Scharping litt am Hospitalismus-Syndrom. Mit starrer Miene erfand er Kriegsgräuel und zauberte einen „Hufeisenplan“ aus dem Hut, aber in großen vaterländischen Stunden können selbst verhaltensauffällige Psychopathen es bekanntlich bis an die Spitze des deutschen Staates bringen. Niemand fand es beunruhigend, als Scharping der Bild am Sonntag gestand, dass er seit Wochen nur noch „von Gemüsebrühe und Wasser“ lebte. Und auch als er darüber klagte, dass er seine „Emotionen nicht mehr sichtbar machen dürfe“, schien niemand den Schrei der gequälten Kreatur hören zu wollen.

Als die Krankheit schließlich zum Ausbruch kam und Scharping es öffentlich mit seiner Gräfin trieb, waren plötzlich alle schwer schockiert. Mit einem Mal wird Scharping für all das kritisiert, was man ihm früher zugute hielt. Er wird attackiert, weil er im politischen Mainstream untragbar geworden ist. Mit anderen Worten: Scharping fügt dem „Ansehen Deutschlands mehr Schaden zu“, als es die gesamte Linke jemals vermochte. Das Liebeshormon Serotonin lässt ihn als verantwortungslosen Debilen erscheinen, der wie in den „Wirtinnen“-Softpornos der Sechzigerjahre nur noch hinter der Gräfin her ist. Er macht die politische Repräsentation lächerlich, indem er bei jeder Gelegenheit zur Gräfin nach Mallorca flog und vor der Kamera der Bunten mit ihr turtelte.

In der SPD und der Regierung macht man inzwischen einen großen Bogen um Scharping. Wenn er im Kabinett auftaucht, wird es schlagartig still. Er tritt die politischen Werte Glaubwürdigkeit und Solidität mit seinen Plattfüßen. Scharping ist ein Saboteur der Regierungspolitik, und alle, die noch nicht das Hohelied auf Schröders neue Mitte singen, müssen anerkennen, dass Scharping Großes zur Unterminierung der öffentlichen Moral und Zersetzung der Wehrbereitschaft geleistet hat und alles tut, um als lächerliche Figur in die Geschichte einzugehen. Ein Revoluzzer wider Willen, denn womöglich stürzt sogar die Regierung über ihn.

Scharping versteht nichts. Gebetsmühlenhaft wiederholt er, dass er doch sein Bestes gibt und in der Woche bis zu hundert Stunden arbeiten würde. Eben! Es war nur eine Frage der Zeit, bis dieser 20-Stunden-Tag seinen Tribut forderte. Rechnet man noch den Nachhauseweg und die Essenszeiten dazu, dann musste Rudolf Scharping über Jahre hinweg mit vielleicht einer Stunde Schlaf pro Tag auskommen. Jetzt hat er in der Gräfin seine persönliche Krankenschwester gefunden: „Rudolf ist total pflegeleicht“, sagt sie, denn er hat keine großen Ansprüche. Ein bisschen im Wasser planschen, ein bisschen an ihrem Ohrläppchen knuspern und knutschen und tief ins Auge der Gräfin glotzen.

Paul Sahner von der Bunten führt Frau Gräfin dann vor, wie toll sie das Kleintier Rudolf schon dressiert hat: „Rudi“, ruft sie den Chef der deutschen Armee, hält ihm ein Stöckchen hin und schon schlabbert er mit treudoofen Hundeaugen das Gesicht seiner privaten Domina ab. Wenn Frau Gräfin „grässlich“ zu Rudi ist, dann „geht er besonders liebevoll und behutsam mit mir um“, während Scharping sich einspeichelt und murmelt: „Weißglut nein, Glut ja.“

„Mitternacht ist schon lange vorbei“, bringt Paul Sahner die Stimmung noch mal auf Touren. „Vom Meer her weht ein erfrischender Wind. Eng umschlungen gehen Rudolf Scharping und seine Gräfin zu ihrem Bungalow. Faxe werden an diesem Abend nicht mehr gelesen . . .“ Paul Sahner hat es mit viel sagenden Pünktchen der Fantasie des Lesers überlassen, wie es weiterging, was übrigens leicht zu ahnen ist: dass sich das eiskalte Pärchen nächtens über seinen Plan zur Vernichtung der Regierung beugte. Und aus der mallorquinischen Finca trug der Wind ein wahnsinniges Lachen hinaus aufs Meer. KLAUS BITTERMANN