Zum Literaturhören ins World Wide Web

■ Das Literaturtelefon ist tot, es lebe die Weblesung: Ein Interview mit dem Organisator Rüdiger Käßner

Seit Juni diesen Jahres ist Hamburger Literatur im Rahmen von Weblesungen im Internet zu hören: Auf Mausklick lesen wechselnde Autoren fünf Minuten lang eigene Prosa oder Lyrik vor. Die Webseiten werden gebaut und zusammengestellt von Rüdiger Käßner, der vorher mehrere Jahre das Literaturtelefon in Hamburg gestaltet hat. taz hamburg sprach mit ihm über die Reize von neuen und alten Medien.

taz hamburg: Jüngst verstarb das Literaturtelefon. Was hatte es eigentlich damit auf sich?

Rüdiger Käßner: Das Telefon gab es in Hamburg 20 Jahre. Es geht als Idee definitiv auf Andy Warhol zurück. Der hat auf seinen Anrufbeantworter immer wechselnde Gedichte verschiedener Autoren gesprochen. In Deutschland gab es in vielen größeren Städten Literaturtelefone. Mit Beiträgen von unterschiedlichen Autoren. Ende 2000 hat die Telekom dann alle Serviceleistungen gekündigt. Da gab es ja alles Mögliche wie Wetterberichte oder Predigten. Der letzte Autorenbeitrag lief nach der Kündigung noch fünf Wochen lang, den hatten sie wohl vergessen. Sonst liefen die Beiträge immer nur eine Woche. Danach war dann Schluss.

Und wie kam es dann zu den Weblesungen?

Das war ein Vorschlag von Wolfgang Schömel von der Kulturbehörde. Der rief mich an und fragte, ob ich Ahnung vom Internet hätte. Ich habe natürlich ja gesagt. Also haben wir Lesungen ins Netz gestellt, Weblesungen, zusammen mit Programmankündigungen und Terminen zur Hamburger Literatur. Die Lesungen haben im Juni mit Matthias Göritz angefangen.

Du hast ja den direkten Vergleich zwischen Weblesungen und Literaturtelefon. Wo würdest du die Vor- und Nachteile der Veränderung ausmachen?

Ich würde mal sagen, das Bedauerliche ist, dass wir das ganze ältere Publikum verloren haben, das nicht so sehr mit Internet zu tun hat. Da gab es alte Leute, die regelmäßig beim Literaturtelefon angerufen haben, um zu hören, und die fallen jetzt weg. Es kommen jüngere Leute dazu, das ist natürlich auch ganz schön. Anderseits habe ich von vielen, auch sehr jungen Leuten gehört: Dieses Literaturtelefon hatte irgendwie Charme. Weil es so furchtbar altmodisch war.

Und das gibt es jetzt nirgendwo mehr?

Es gibt noch einen kleinen privaten Anrufbeantworter in Aurich, da wird das noch gemacht.

Aber es ist schon so: Die Lesungen im Netz haben Vorteile. Man erfährt viel mehr über den Autor, es gibt ja auch zur Lesung biografische Angaben und ein Bild des Autors. Und theoretisch bleiben die Texte ewig im Archiv. Man kann alles nachgucken, alle Beiträge noch mal abspielen.

Das ist für mich natürlich auch nicht nur gut, wenn alles immer zu lesen ist. Es gibt ja auch Sachen, die mir nicht so gefallen.

Stimmt, das Flüchtigere hatte sicher auch Vorteile.

Ich meine auch nicht die Qualität der Beiträge, aber so eine Art, einen Stil, der bedient werden will, der mir aber nicht so gefällt. Da kommen Leuten manchmal mit Sachen, die ich gar nicht mehr sehr zeitgemäß finde. Gedichte mit Blumen und Sonnenuntergängen. Das waren auch eher ältere Autoren. Und jetzt mit den Weblesungen verändern sich auch die Autoren, und es kommen eher neuere, jüngere Autoren dazu.

Das Medium erneuert sich, also erneuern sich auch die Inhalte?

Hoffe ich doch. Nicht ausschließlich Erneuerung natürlich. Es gab ja immer sehr gute Beiträge. Aber es hat sich doch immer verändert. Ich habe vor kurzem Sachen angehört aus dem Telefon von 1988, das war ehrlich grauenhaft. Die Art zu lesen und auch die Inhalte der Texte. Die Qualität der Lesungen hat mit den Jahren schon sehr zugelegt.

Warum immer Vorlesen? Auch bei den Weblesungen hast du die akustische Form der Präsentation gewählt – man hätte ja auch Texte ins Netz stellen können?

Aber es ist schon immer etwas anderes, wenn der Autor selber liest, die Besonderheiten der Stimme und die Betonungen zeigen mehr von der Eigenart des Textes. Es gibt daneben auch noch urheberrechtliche Fragen gegenüber den Verlagen. Die Autoren machen bei uns ja Lesungen. Dabei gibt es keine Probleme mit Sachen, die schon veröffentlicht sind.

Welche Rolle spielt die Kulturbehörde?

Ich bekomme natürlich die Gelder von der Behörde, inhaltlich habe ich freie Hand. Da redet mir keiner rein. Sonst wird noch das Faltblatt, die Förderpreise für Literatur und das Literaturhaus mit öffentlichen Geldern gefördert. Das ist natürlich immer noch wenig Geld für Literatur im Vergleich zu Theater oder Oper.

Was für eine Bedeutung haben die Weblesungen in der Hamburger Literaturlandschaft?

Das ist ja alles noch relativ neu. Es ist sicher für viele ein Einstieg, aber es kommen auch andere auf mich zu, die keinen Einstieg brauchen. Zum Beispiel gibt es Beiträge von Joachim Helfer und Susanne Amatosero. Es sind die unterschiedlichsten Autoren dabei. Die Lesungen sollen ja vor allem zeigen, was in Hamburg literarisch so los ist.

Interview: Anne Otto

Weblesungen und Veranstaltungshinweise in Sachen Hamburger Literatur finden sich unter www.weblesungen.de