Wort auf

Berlin-Beta-Filmfest, die Sechste: Marc Levins Debüt „Slam“ erzählt von den Ermächtigungstaktiken des Rap

Es ist eine einfache Kopfrechnung, die der schwarze Gefängniswärter seinem afroamerikanischen Bruder Ray bei der Einführung in sein illuster besetztes Gangland vorrechnet. Das Ergebnis sind zu viele afroamerikanische Kids im Knast, und das ist auch der Grund, warum seine Wut so enorm ist – und mit jedem weiteren Neuankömmling wächst: „Wir löschen unser eigenes Volk aus . . .“

Zusammenhalt nach innen und Stärke zeigen nach außen sind Strategien, an die man sich als ethnische Minderheit in amerikanischen Gefängnissen noch verbissen klammern muss. In der Realität erweist sich aber auch das nur als Strohhalm. Entweder du bist tot oder du bist ein Opfer; noch so eine essenzielle Regel, die sich in Marc Levins Debüt-Film „Slam“ in den Subtext der Bilder einschreibt. Der Satz würde auch ein anständiges Knast-Tattoo abgeben.

Paranoia als Lebensgefühl; eben noch stehst du mit deinem Buddy – natürlich ein Pusher wie du selbst – auf dem Basketball-Court deiner Hood, und im nächsten Moment liegt er schon halb tot in deinen Armen. Das System „Ghetto“ funktioniert nach einem simplen ökonomischen Automatismus, aus dem sich die politischen Verhältnisse nicht einfach so herauslösen lassen. Und als junger, unterprivilegierter Afroamerikaner gehört man immer zum Bodensatz des Sozialgefüges. Auf ein Wunder wartet da unten schon längst keiner mehr. Das Schicksal wird kurzerhand selbst in die Hand genommen, und an diesem Punkt schließt sich in „Slam“ der Kreis auch wieder zu bitterer Tragik. Der HipHop-Poet, Musiker und Filmemacher Saul Williams, hier in der Rolle des Ray, setzt die Macht des Wortes gegen die Unbilden der afroamerikanischen Existenz. Wie auch sein kürzlich erschienenes Album „Amethyst Rock Star“ erzählt „Slam“, an dem Williams als Autor mitgewirkt hat, von der Ermächtigungstaktik des „Rap“: Rhythm And Poetry. Williams ist ein charismatischer Performer, wie auch seine Partnerin Sonja Sohn, und man nimmt es ihm sogar fast ab, wenn er im Gefängnis am Kulminationspunkt der Gewalt mit einer umwerfenden Poetry-Einlage die Gemüter beschwichtigt.

„Slam“ ist Text in Rhythmus, eine faszinierende Verkettung von Metaphern und Alltagsbildern; und dann gibt es auch Momente, in denen der Text keinen Rhythmus mehr braucht. Dann folgt ein galliges Stakkato aus Wut und purer Verzweiflung. Sonja erzählt Ray, dass er keine gottverdammten Metaphern brauche, sondern Träume. Williams ist ein Spiritualist und Weltverbesserer, und vielleicht ist so eine Leitfigur mit allem ihren Widersprüchen zwischen Pathos und intellektueller Schärfe genau das, was Amerika in der Ära Bush endlich wieder braucht.

Denn da ist eben immer noch dieses allgegenwärtige Gefühl von Paranoia unter den stigmatisierten Mitgliedern der US-Jugend; die die jung, schwarz und unterprivilegiert sind, die ewigen Opfer also. „I’m scared everyday, but I’m not afraid.“ Damit muss man erst mal klarkommen.

ANDREAS BUSCHE

Central, 5. 9., 18.30 Uhr