Auf der Suche nach Leben

Nach seinem Aus bei den US Open zieht sich der Australier Patrick Rafter zum Sinnieren zurück. Sein Bezwinger Pete Sampras bekommt es derweil mit seinem alten Konkurrenten Andre Agassi zu tun

aus New York DORIS HENKEL

Als er vor gut einem Jahr den siebten Titel in Wimbledon und damit den 13. Grand-Slam-Titel seiner Karriere gewonnen hatte, mehr als je ein Tennisspieler zuvor, da erklärte Pete Sampras: „Ich habe alles geschafft, was ich wollte. Aber ich bin immer noch heiß auf die Auseinandersetzung, und ich bin immer noch heiß auf das Spiel.“

In diesem Jahr hat er bisher nicht einen einzigen Titel gewonnen, seine traumhafte Serie in Wimbledon riss mit der Niederlage im Achtelfinale gegen Roger Federer, und als die US Open begannen, stand er nur noch als Nummer zehn in der Setzliste – so schlecht wie seit 1990 nicht mehr. Doch was er im Juli 2000 in Wimbledon meinte, das sah man, als er am Montag in New York gegen Patrick Rafter gewann (6:3, 6:2, 6:7, 6:4) und mit so viel Leidenschaft, Inspiration und unerbittlicher Präzision spielte wie lange schon nicht mehr.

Es tat gut, ihn so zu sehen. Aber es tat auch weh, Pat Rafter verlieren zu sehen. Denn ob es jemals wieder einen Auftritt des Australiers auf dieser Bühne geben wird, das wissen nur die Götter – und vielleicht noch nicht einmal die. Rafter wird sich, wie er es zu Beginn des Jahres angekündigt und danach immer wieder bestätigt hat, spätestens nach dem Davis-Cup-Finale Anfang Dezember in eine Pause von mehreren Monaten verabschieden. „Ich will mich zurückziehen und sehen, wie das Leben wirklich ist“, sagt er. „Was wir hier machen, hat mit der realen Welt ja nichts zu tun.“

Sobald er verbindliche Schlüsse gezogen hat, irgendwo am Strand seiner zweiten Heimat Bermuda oder zu Hause in Australien, wird er entscheiden, wie es weitergehen soll. Wenn ihm nichts fehlt, wird er bleiben, wo er ist; stellt er fest, dass er das Spiel und dessen Verrücktheiten vermisst, dann wird er trainieren und sich auf die Rückkehr vorbereiten. Sagt er. Was er wirklich denkt, mit welchem Gefühl er geht und ob er nicht insgeheim längst weiß, dass es keine Rückkehr geben wird, das sagt er nicht.

Sampras sagt: „Wir werden ihn vermissen. Er hatte eine phänomenale Karriere, und er ist einer der nettesten Jungs der Tour.“ Aber schwerer als dieses höfliche Kompliment wog seine Erklärung für die eigene Leistung im Spiel. „Pat hat immer schon das Beste aus mir herausgeholt; da ist so viel gegenseitiger Respekt im Spiel und eine lange, gemeinsame Geschichte.“ Rafter bedankte sich für die wohl meinenden Worte, doch an der Enttäuschung über die eigene Leistung änderte das nichts. Zu spät war er in Schwung gekommen in der Partie, und als er im vierten Satz dachte, er habe vielleicht doch noch eine Chance, führte er mit Fehlern selbst das Ende herbei. Am heutigen Mittwoch, wenn Pete Sampras wieder spielt, wird Pat Rafter die Stadt schon verlassen haben; er hat es eilig, nach Australien zu kommen, denn Mitte September wird er dort im Halbfinale des Davis Cups mit Lleyton Hewitt und den anderen Jungs versuchen, die Schweden zu besiegen.

Was der Davis Cup für die Australier ist, das sind für Sampras Spiele gegen Andre Agassi, und genau damit geht es nun weiter. Agassi war beim Sieg gegen Roger Federer (6:1, 6:2, 6:4) mindestens so gut in Form wie der alte Rivale Pete, und er fand auf seine bekannt blumige Art eine besondere Form des Zuspruchs für den besiegten Gegner. „Roger sollte es als großes Kompliment betrachten, dass ich so gut gespielt habe. Nur wenn man das Spiel des anderen und dessen Fähigkeiten respektiert, dann zwingt man sich selbst auch dazu, das Beste zu geben.“

Dass Sampras unter diese Kategorie fällt, versteht sich von selbst. Die beiden kennen sich seit Kindertagen; Agassi erinnert sich daran, damals sei er der Größere von beiden gewesen, was Sampras bestätigt: „Stimmt. Aber das hat sich bald geändert, Gott sein Dank.“ Daran liegt es sicher nicht, dass Sampras von den 31 gemeinsamen Spielen in den vergangenen zwölf Jahren mit 17 Siegen im Vorteil ist; dafür hat Agassi seit dem Finale der ATP-Weltmeisterschaft 99 in Hannover keines der vier folgenden Spiele mehr verloren.

Aber was sollen die Zahlen. Mit größter Spannung und beträchtlicher Aufregung warten die New Yorker auf die 32. Begegnung der beiden jungen, alten Meister. „Hoffentlich wird es ein Klassiker, an den wir uns später alle gern zurück erinnern“, sagt Pete Sampras, „und hoffentlich werde ich’s packen.“ Nicht schwer zu erraten, was ihn mehr interessiert.