vorlauf
: Gesicht zeigen!

Tödliche Begegnung (1)

(23.30 Uhr, ARD)

Ein Mensch ist schnell getötet. Ein Kinderspiel sogar, wenn das Opfer ein Obdachloser ist, der sich dem sozialen Gefüge entzieht und hinter einer Kirche in Ahlbeck auf Usedom sein Nachtlager aufgeschlagen hat. Wo er sich noch ein paar Bierdosen teilt mit eben jenen Jugendlichen, die ihm als Exempel ihrer eigenen Zukunftslosigkeit kurz darauf den Brustkorb eintreten werden und das Gesicht bis zur Unkenntlichkeit zerstampfen. Das Gesicht.

Als „der erschlagene Obdachlose von Ahlbeck“ geistert Norbert Plath noch ein paar Tage durch die Medien, dann ist er endgültig verschwunden.

Nichts davon zeigen Eckhard und Sabine Mieder in „Tödliche Begegnung“ (Teil 2 am 12.9., Teil 3 am 19.9.). Nur eine blutgetränkte Jeansjacke, das grobkörnige Passfoto eines bärtigen Landstreichers. Kein erhobener Zeigefinger, kein Gründeln in der Psyche der Täter, keine wohlfeilen Warnungen. Stattdessen wird mit detektivischer Sorgfalt das Leben des Norbert Plath bis zu seinem Tode rekonstruiert. Von der Jugend in Ahlbeck über das Scheitern in der DDR wie im Westen – bis zu seinem letzten Tag. Vor der Kamera schildern Leichenbeschauer, Lehrer, Schulkameraden, Arbeitskollegen, Weggefährten und Freunde Plaths Jugend, seine Talente, Hoffnungen –bis zur allmählichen Drift ins gesellschaftliche Abseits.

Sobald aber einem Gesprächspartner die Tränen kommen, wird weggeblendet. Statt mit süffigem Pathos erzählen die Filmemacher ihre Geschichte lieber über Bande, über ihre Bilder. Sorgsam werden die jeweiligen Gesprächspartner vor ihre Statussymbole platziert. Im Hintergrund schwingt das Pendel einer gläsernen Uhr, parkt eine Stereoanlage, leuchten Schnittblumen oder droht die Wohnzimmerschrankwand aus Eiche – und kontrastiert auf ebenso sublime wie eindrückliche Weise das ganz andere Schicksal des Opfers.

Ganz am Ende des Abspanns bedanken sich Eckhard und Sabine Mieder bei „allen Menschen, die geholfen haben, Norbert Plath ein Gesicht zu geben“. Selten wurde die hilflose Floskel vom „Aufstand der Anständigen“, die „Gesicht zeigen“ sollten, so konsequent und eindringlich, ja, mit Leben gefüllt.

ARNO FRANK