Schule unter Belagerung

In Belfast sichern Polizisten in Kampfanzügen den Schulweg katholischer Mädchen in einem protestantischen Viertel. Aufgebrachte Passanten attackieren die Kinder

DUBLIN taz ■ Der erste Schultag ist für jedes Kind eine aufregende Angelegenheit. In Belfast kann er lebensbedrohlich sein. Die Mädchen der katholischen Holy-Cross-Grundschule im Norden der nordirischen Hauptstadt, viele nicht älter als vier Jahre, wurden vorgestern auf ihrem Schulweg von einem protestantischen Mob bespuckt, mit Flaschen beworfen und als Abschaum beschimpft.

„Eure Kinder sind Tiere“, rief die Menge den Eltern zu, die ihre Kinder schützen wollten. Nur aufgrund des massiven Einsatzes der Polizei in Kampfanzügen gelangten die Kinder schließlich in ihre Schule. An Unterricht war jedoch nicht mehr zu denken.

Die Kinder stammen aus Ardoyne, einem katholischen Viertel, in dem Ende der Sechzigerjahre die Irisch-Republikanische Armee (IRA) wiedergegründet wurde. Die Schule liegt jedoch im Nachbarviertel, sodass die Mädchen knapp 300 Meter durch protestantisches Gebiet laufen müssen. In Nordbelfast, einem Flickenteppich aus katholischen und protestantischen Vierteln, ist der Konflikt schärfer ausgetragen worden als in jeder anderen Gegend Nordirlands.

Die Auseinandersetzungen um die Holy Cross School hatten bereits gegen Ende des vergangenen Schuljahres im Juni begonnen. Während der Sommerferien versuchten Initiativen auf beiden Seiten, die Situation zu entschärfen – ohne Erfolg, wie sich jetzt herausgestellt hat. „Das ist einer der schlimmsten Tage meines Lebens, und ich habe während des politischen Konflikts in Nordirland einiges durchgemacht“, sagte Schuldirektorin Anne Tanney. „Dabei haben wir in den vergangenen Jahren versucht, gemeinsame Projekte mit unseren protestantischen Nachbarn auf die Beine zu stellen und Kontakte herzustellen.“

In der Nacht zu Montag kam es an der Grenze der Viertel zu einer Straßenschlacht zwischen katholischen und protestantischen Jugendlichen. Mehrere Polizisten wurden verletzt. Ein Ende der Auseinandersetzungen ist nicht in Sicht. „Es wäre falsch, die Kinder noch mal einem solchen Spießrutenlauf auszusetzen“, sagte der katholische Pfarrer Aidan Troy. Die meisten Eltern weigern sich jedoch, ihre Kinder auf einer anderen Strecke durch das katholische Viertel zum Hintereingang der Schule zu bringen, weil sie das als Sieg der Gewalt empfinden würden.

Protestantische Politiker versuchten gestern, den Angriff auf die Kinder zu rechtfertigen. Nigel Dodds, der Unterhaus-Abgeordnete der Democratic Unionist Party des Protestantenpfarrers Ian Paisley, sagte: „Viele der Probleme sind entstanden, weil einige stadtbekannte IRA-Aktivisten unter den Eltern waren.“ Er fügte hinzu, dass die Gewalt wegen des Polizeieinsatzes eskaliert sei. Die Red Hand Defenders, die für hunderte von Attacken auf katholische Viertel in den vergangenen Monaten verantwortlich sind, warnten die Eltern davor, sich noch einmal im protestantischen Viertel blicken zu lassen. Esther Holmes, deren sechsjährige Tochter auf die Holy Cross School geht, sagte: „Es ist entsetzlich. Wir wollen doch nur unsere Kinder unbehelligt zur Schule bringen.“ RALF SOTSCHECK