Frankreich vereinigt Atom

Alle halb oder ganz staatlichen Konzerne des Kernenergie-Komplexes werden zu „Areva“ verschmolzen. Neue Geschäfte im Auge. Anti-Atom-Initiativen wünschen frühen Börsengang

aus Paris DOROTHEA HAHN

Vergessen Sie „Framatome“, „Cogéma“, „CEA“ und all die Betriebe des Atomgeschäftes in Frankreich. Merken Sie Sich stattdessen „Areva“ – den von PR-ExpertInnen ausgewählten, abgekürzten Namen des mittelalterlichen spanischen Zisterzensierklosters Arevalo. Seit vorgestern Abend schmückt sich die am gleichen Abend offiziell zur weltweit größten Holding der Branche fusionierte französische Atomindustrie damit.

„Areva“ kontrolliert den kompletten Atomprozess – vom spaltbaren Material über die Wiederaufbereitung und die MOX-Herstellung bis zur Langzeitlagerung, hat einen konsolidierten Jahresumsatz von 10 Milliarden Euro, knapp 50.000 Beschäftigte weltweit und Märkte im Auge, die von China über Osteuropa bis in die USA reichen.

Außer dem Namen ist bei „Areva“ alles beim Alten geblieben. An der Spitze der neuen Holding sitzen die alten ChefInnen der französischen Atomindustrie. Die Holding folgt derselben Logik des Ausbaus des nuklearen Sektors. Und sie stimmt ihre Unternehmensentscheidungen weiterhin sorgfältig mit den französischen politischen Interessen ab. Der Börsengang der „Areva“ ist erst für das nächste Jahr geplant – allerdings bislang ohne Termin. Dass die Fusion keinen Richtungswechsel der Atomindustrie zur Folge haben wird, macht die frühere Beraterin von Staatspräsident François Mitterrand und bisherige Cogéma-Chefin, Anne Lauvergeon, klar. „Die Atomindustrie ist nicht die einzige Lösung“, sagte sie, die fortan das Direktorium von „Areva“ präsidiert, im Pariser Figaro, „aber es gibt keine Lösung ohne die Atomindustrie.“

Am Abend, an dem die gegenwärtigen Eigner – vom französischen Staat, der über 78 Prozent des Kapitals hält, bis zu dem Mineralölkonzern Total-Fina-Elf – die seit Monaten vorbereitete Fusion absegneten, wurde zugleich ein lukratives Langzeitgeschäft für die „Areva“ bekannt. Die „Cogéma“ und die französische Elektrizitätsgesellschaft „EDF“ verlängern ihren Vertrag über die Wiederaufbereitung von Atommüll aus den französischen AKWs um 15 Jahre. Bis 2016 winken der „Areva“ allein damit 4 Milliarden Euro an Einnahmen.

Die GründerInnen der neuen Holding fühlen sich unter anderem von US-Präsident Bush ermuntert, der in seinem Energieplan den Ausbau der Atomenergie vorsieht. Des Weiteren setzen sie auf den zehnten chinesischen Wirtschaftsplan, in dem der Bau von sechs neuen AKWs in China vorgesehen ist, für die sich die „Areva“ als ideale Lieferantin sieht. Auch in Japan erhofft sich die Holding neue Aufträge.

Als Hintergrundmusik lockt vor allem das Geschäft, in dem die Atomindustrie weltweit ihre Zukunft wittert: die Entwicklung eines neuen Reaktors, der unter anderem die veralteten Anlagen in Osteuropa ersetzen könnte. Seit Jahren sind drei Modelle im Gespräch: ein US-Reaktor, ein russischer Reaktor und der in deutsch-französischer Atomzusammenarbeit mit Siemens geplante „EPR“. Aber vorerst will die „Areva“ mit diesem Thema nicht die Pariser PolitikerInnen stören. „Die Entscheidung über eine EPR-Entwicklung“, erklärte Lauvergnon diese Woche, „wird erst nach den nächsten Präsidentschaftswahlen gefällt.“

AKW-GegnerInnen in Frankreich hat die Gründung der Holding nicht überrascht. Pascal Braud von der Bürgerinitiative „Sortir du Nucléaire“ („Atomausstieg“) bedauert nur, dass der Börsengang verschoben wurde. „Wir wären gern Aktionäre geworden, um Zugang zu den internen Dossiers zu haben“, sagte er.

Enttäuscht sind die Ökos hingegen über die 15-jährige Verlängerung der Atommüll-Wiederaufbereitung. Schließlich beinhaltete der bis heute nicht widerrufene politische Vertrag zwischen den Regierungsparteien PS und „Verts“ ein deutliches Bekenntnis zum Ende der Wiederaufbereitung. „Wir hoffen“, sagt BI-Sprecher Braud, „dass die Grünen im nächsten Jahr zusammen mit uns gegen die Erneuerung des AKW-Parks vorgehen.“