Der Pädagogik entsprungen

■ Akrobatisch wider die Zuchtmeister: Die Compagnie François Verret mit dem „Kaspar Konzert“ auf Kampnagel

Kaspar turnt in schwindelnder Höhe, schlägt Salti, dreht Schrauben, stößt bei seinen Trampolinsprüngen fast an die Decke der Halle. Seine Lehrer und Zuchtmeister schieben derweil polternd das Mobiliar zusammen. Wahrscheinlich sind sie sauer, dass sich ihr Zögling aus dem Staub gemacht hat und sie jetzt da oben zum Narren hält. Das Sprechen und sonstige Manieren haben sie ihm nicht beibringen können.

Nun verharren sie selbst in autis-tischer Pose, gefangen in der Welt ihrer eigenen Ordnung und Gebote, während Kaspar sich behände wie ein Äffchen am Metallgerüst entlanghangelt, nach einem kühnen Sprung auf der Plattform tront – bereit zu fliegen.

Kaspar ist jener berühmte Findling, der im Jahre 1828 bei Nürnberg auftauchte, zum Versuchsobjekt von Schulmeistern und Pfaffen wurde und fünf Jahre später mysteriös ums Leben kam. Wild und ungehobelt, wie er war, hat man ihn, so sagt jedenfalls die Legende, als Attraktion auf Bällen und Festen herumgereicht.

Da scheint es gar nicht abwegig, dass der französische Choreograf François Verret seinen Kaspar in der Performance Kaspar Konzert mit einem Zirkusakrobaten besetzt. Wer sonst hätte auch dieses monst-röse Stahlgerüst in Verrets Raum/Klang/Tanzinstallation Kaspar Konzert, zu Gast beim Laokoon-Festival auf Kampnagel, bespielen sollen? Und der junge Artist Mathurin Bolze ist mit seinen zirzensischen Künsten in dieser Inszenierung wirklich eine Sensation. So lässig, elegant und selbstverständlich, wie er mit traumwandlerischer Sicherheit durch die Lüfte segelt, so verbohrt wirken dagegen die rhythmischen Bewegungs- und Perkussionsübungen, die Verret sich selbst gängelnd am Gummiband und der Komponist Jean-Pierre Drouet am elektronischen Schlagwerk vollbringen.

Da hebt sich der pädagogische Zeigefinger in etüdenhaften Erziehungsmaßnahmen am anfangs widerspenstig an Wand und Gestänge trommelnden Kaspar, dass Poesie und Imagination im Keim versiegen. Statisch und kalt bleibt das Spiel in Claudine Brahems gigantischer Bühnenmaschinerie. Eine mechanische Abarbeitung am Objekt, von Christian Dubet zwar in schöne Lichtbilder getaucht, die aber kaum zu den Menschen der Geschichte durchdringt.

Drouet zieht unterdessen an der geräuschvoll ratternden Eisenkette den mächtigen Kubus in der Halle höher und höher. Im unteren Spalt sieht man Kaspar zusammengekauert am Boden. Getreten von nackten behaarten Beinen, wirbelt er herum wie ein Wurm. Später federt er vom elastischen Dach hi-nauf in die Freiheit. Eine knappe Stunde, die dank Bolze wie im Flug vergeht, der eine romantisch- hübsch verklärte Personifizierung des Kaspar Hauser abgibt.

Marga Wolff