Ein Colt für alle Fälle

■ Tim Ingolds große Amerika-Serie, fünfter Teil. Heute: Der Deutsche mit dem irren Blick

Amerika – unendliche Weiten, unendliche Abenteuer. Unser Autor hat sie alle erlebt, hat sie alle gesehen. Und umgekehrt. Die 1948er Indian Roadmaster, Mama am Handy und so. Lesen sie Sie heute, wie alles weiterging.

Dies ist die Geschichte von einem der sympathischsten Draufgänger Amerikas. Jeder hat ihn schon mal in irgendeinem Film gesehen, aber niemand kennt sein Gesicht. Er wird bejubelt, das Publikum weint um ihn, und einmal wollten sogar zwei Frauen für ihn ins Wasser gehen. Aber hat er Ruhm, Geld und Mädchen wie ein großer Star? Nein! Er ist ja auch nur der Stuntman! Der Grund, weshalb ich überhaupt darüber spreche, ist ganz einfach. Es handelt sich dabei um mich: Colt Seavers. Leider garantiert die Arbeit beim Film keine Dauerbeschäftigung, und da muß man sehen, wie man sich über Wasser hält. Man kann natürlich am Telefon sitzen und warten. Das kann ich mir nicht leisten! Ich arbeite zwischen zwei Jobs für die Justiz der Vereinigten Staaten von Amerika. In den USA gilt jeder Beschuldigte solange als unschuldig, bis seine Schuld bewiesen ist - und da geschieht es immer wieder, dass Menschen bis zur Gerichtsverhandlung gegen Kaution auf freien Fuß gesetzt werden. Ein Teil von ihnen macht sich aus dem Staub. Da komme ich dann ins Spiel. Mein Job ist es, diese Menschen aufzuspüren und wieder in die Arme der Gerechtigkeit zurückzuführen.

Neulich hatte ich es mit einem ganz üblen Burschen zu tun. Ein deutscher Tourist. Er war bei einem Soccer-Match der Highschool-Mädels unangenehm aufgefallen. Als die Nationalhymne gespielt wurde, stand er nicht auf und machte auch keine Anstalten, die Hand aufs Herz zu legen. Und im Laufe des Spiels steckte er sich auf der Tribüne eine Kippe an. Obwohl doch jeder weiß, daß das Rauchen auf Schulgrundstücken verboten ist. Die besorgte Mutter, die neben ihm saß, alarmierte die Polizei. Der Kerl widersetzte sich seiner Festnahme und beschimpfte die Cops als Faschisten. Im Gefängnis machte er einen Riesenaufstand und krakeelte herum, daß er Journalist sei und daß er den deutschen Botschafter zu sehen wünsche.

Der kam zwar nicht, aber sein Arbeitgeber, irgendeine reiche deutsche Tageszeitung, zahlte die Kaution. Natürlich wollte der Bursche sich davon machen. Er klaute einem Jungen sein Fahrrad und raste damit auf die Staatsgrenze zu. Fünf Tage später war die Gerichtsverhandlung, zu der er natürlich nicht erschien. Wenig später rief Terry mich an und sagte mir, daß ich einen Job hätte: Ich sollte den Irren einfangen und nach L.A. zurückbringen. Nach fünf Tagen hatte er es beinahe geschafft, über die Staatsgrenze zu radeln, aber kurz vorher war er in einen Verkehrsunfall mit einem Kinderwagen verwickelt gewesen und hatte sich das Knie aufgeschlagen, wodurch eine Weiterfahrt unmöglich wurde. Jetzt hatte er sich in einer Telefonzelle verschanzt und ließ niemanden telefonieren. All das erfuhr ich von Buddy, einem unserer Spitzel, der Zeuge der ganzen Aktion geworden war. Ich lud Howie und Jody in meinen GMC-Truck Sierra Grande 4x4 und machte mich auf den Weg. Auf der Fahrt machte ich mir schon meine Gedanken, denn diese Journalisten gelten ja als ganz ausgebuffte Aasgeier. Auf dem Marktplatz, auf dem die Telefonzelle stand, hatte sich schon eine Menschentraube versammelt. Ich parkte etwas abseits und schaute mir den Vogel erstmal von weitem an. Er hatte einen Pudel als Geisel genommen und drohte damit, ihm einen Kugelschreiber in den Hals zu rammen, falls irgendjemand Anstalten machen sollte, der Telefonzelle zu nahe zu kommen. Selten hatte ich solch einen irren, fanatischen Blick gesehen. Howie schlug vor, die Telefonzelle kurzerhand in die Luft zu sprengen, aber auch wenn ich zugeben muß, dass mir die schlichte Pragmatik seines Plans für einen Moment bewunderungswürdig erschien, hegte ich doch meine Zweifel, ob dies die geeignete Vorgehensweise sei. Nein, der Pudel mußte gerettet werden, soviel war sicher. Die Lady, der er gehörte, war nahe an einem Nervenzusammenbruch.

Der Anblick ihres in einer Feuersäule verdampfenden Lieblings wäre geeignet gewesen, ihr den Rest zu geben. Nach kurzer Beratung hatten wir gemeinsam einen Plan ausbaldowert. Jody sollte aufreizend vor der Telefonzelle auf- und abschlendern, während sich Howie von hinten an die Zelle heranschleichen sollte, um in einem günstigen Moment das Glas der Seitenwand mit einem Nothammer einzuschlagen und dem Psychopathen den Hund zu entreißen. In diesem Moment würde ich mit meinem Raketenrucksack auf dem Dach der Zelle landen, das Stahlseil aus der Winde meines Trucks einklinken, die bereits im gleichen Moment, von einem Passanten betätigt, anziehen sollte, so daß die Zelle samt dem Deutschen auf die Seite fallen würde. Leider ging alles schief. Jodie brach sich beim Herumstolzieren einen Absatz ihrer High Heels ab und verstauchte sich den Knöchel. Mein Raketenrucksack hatte Fehlzündungen und war nicht mehr zu kontrollieren, weshalb ich statt auf der Telefonzelle auf der hysterischen Hunde-Lady landete. Howie haute wie doof mit dem Nothammer auf das Glas ein, aber es wollte einfach nicht zerspringen. Irgendwie hatten wir aber doch Erfolg. Der Deutsche bepisste sich vor Lachen, rutschte in seiner eigenen Pfütze aus und schlug sich den Schädel am Fernsprechgerät auf. Howie öffnete die Tür der Zelle und befreite den pudelnassen Pudel, den er in die Arme seines bewußtlosen Frauchens legte. Wir ketteten die Tür zu, ich kletterte aufs Dach der Zelle und klinkte doch noch mein Seil ein, mit dessen Hilfe wir den Flüchtigen die 200 Meilen bis nach L.A. zurückschleiften und ihn in der Zelle dem Gericht übergaben. Das war mal wieder ein verdammt harter Auftrag gewesen, aber in dem Bewußtsein, gute Arbeit geleistet zu haben, gönnten wir uns noch ein Bierchen und Howie machte noch einen Scherz, bevor der Abspann über den Bildschirm flimmerte.