Der Weg zum Mond ist eine Spirale

Berliner Szenen, somnambule Trichterköpfe und fehlende Töpfe: Heute beginnt das erste Berliner Comicfestival mit einem Comicgarten, Konzerten, Ausstellungen, Lesungen und einem Symposium über die Parallelen zwischen Literatur und Comic

von SUSANNE MESSMER

In den Comics von Anke Feuchtenberger führen die Haare der Frauenfiguren oft ein seltsames Eigenleben. Auch die Pflanzen, von denen manche aussehen wie Vaginas, winden sich wie vom Kunstdünger getroffen. Alles, auch Treppenhäuser, Wesen mit Propeller auf dem Kopf und der Weg zum Mond, kringelt sich zu Spiralen, es wird immer verdrehter, bis man meint, man wäre in einem psychedelischen Traum voll Saft und Kraft, Huren, Somnambulen, Gebärmüttern und Mutterkuchen. Anke Feuchtenberger, 1963 in der DDR geboren, ist eine von vielen Comiczeichnern in Berlin, die in den Achtzigern an Kunsthochschulen Grafik studierten, deren Comics als Kunst getarnt werden mussten, und die erst nach 1989 so richtig loslegen konnten.

Auch Christian Huth, 1964 in Anklam geboren, ging das so. Mit Atak, dem König des Ornamentalen, Peter Bauer und Holger Lau gründete er die Künstlergruppe „Renate“, die nach der Wende das gleichnamige „O-Berliner Hard-Core-Underground-Fanzine“ ins Leben rief und noch heute in Berlins Mitte die einzige Comicbibliothek Deutschlands betreibt. Seine Zeichnungen sind improvisierter als die der Feuchtenberger oder von Atak – eine seiner Figuren trägt zum Beispiel, je nachdem, wie man die Sache sieht, einen erigierten Penis oder einen umgedrehten Trichter auf dem Kopf, während bei einer anderen Figur Augen aus einem kastenförmigen Korpus wachsen oder das Gehirn rausguckt.

Ganz anders Fil: Er ist einer der wenigen Berliner Comiczeichner, die in Westberlin geboren und geblieben sind. Schon seit er vierzehn ist, veröffentlicht er seine trashigen und selbstreferenziellen Comics im Stadtmagazin Zitty. Daneben gibt es von ihm aber auch spartanischere Bildergeschichten als „Didi und Stulle“. Zum Beispiel die von Horst und Annabella, wie sie zum Beispiel Pogo tanzen. Der Strip besteht aus einem Bild, auf dem zwei Strichmännchen aufeinander zurennen, und einem, auf dem sie zusammenrempeln. Drunter steht zu lesen: „Der Nachteil bei der Pogo-Version ist, dass mit zwei Kästchen im Prinzip schon alles gesagt ist, so dass hier also noch Platz – wie soll ich sagen – bleibt.“

Anke Feuchtenberger, Christian Huth und Fil – das sind nur drei Beispiele für Berliner Comiczeichner, die jenseits von Micky Maus und Werner zeichnen. Bei denen es eher auf Brüche und Schockmomente ankommt. Die für eine Szene stehen, wie sie vielfältiger kaum sein könnte. In Berlin gibt es nicht nur wahnsinnig viele tolle Zeichner, es gibt auch die besten Comicläden und einen der nettesten Undergroundverlage, den Reprodukt Verlag.

Dass es bislang noch kein dazugehöriges Festival gab, dem hat die Neue Gesellschaft für Literatur nun abgeholfen, mit dem ersten Berliner Comicfestival, das heute beginnt. Neben Ausstellungen, Konzerten und Filmen hat der Reprodukt Verlag zum zweiten Mal einen Comicgarten unter freiem Himmel initiiert, wo sich kleine und große Verlage, einzelne Künstler und Gruppen von Hochschulen an einheitlich großen Ständen darstellen können. Neben Fechtenberger, Huth, Atak und Fil werden auch andere bekannte Zeichner wie Max Anderson, Martin tom Dieck und M. S. Bastian signieren. Der Höhepunkt des Festivals wird ein Symposium sein. In Vorträgen wie einem von Klaus Theweleit zu Walt Disneys Umgang mit amerikanischer Mythologie und mehreren des Journalisten Jens Balzer wird es darum gehen, inwieweit Comics eine literarische Form sind.

Dabei begeht dieses Festival ein schwierige Gratwanderung zwischen Repräsentation und Innovation: Auf der einen Seite pocht man mit etwas zu großen Worten auf Berlin als Comic-Hauptstadt, weil man mögliche Sponsoren aufmerksam machen will. Noch immer sitzt der Comic zwischen zwei Stühlen: Nicht wirklich Literatur, nicht wirklich Kunst, fehlt es ihm an Förderung, Stipendien oder einer Stiftung. Den Wünschen, dies zu ändern, ist es zuzuschreiben, dass mit Ausnahme von Fil auffallend viele Zeichner geladen sind, die irgendwie „arty“ sind. Überraschungen, bisher unbekannte Zeichner, die vielleicht anarchischer und unverständlicher zeichnen, sind wenige vertreten.

Auf der anderen Seite bestehen alle Beteiligten darauf, dass sich die leidige Debatte um die Ernsthaftigkeit des Comics erledigt hat. „Der Comic soll endlich nicht mehr zur Adoption freigegeben werden“, meint auch Fil kritisch zu den Versuchen der Veranstalter, dem Comic mehr Würde zu verleihen. Aber schließlich geht es halt auch ums liebe Geld, um Töpfe, die für andere Künste zugänglicher sind. Und sei es für ornamentale Mutterkuchen-Kunst.

Heute Vernissage der Ausstellung „bildsturmtexte“ und Eröffnung des 1. Berliner Comicfestivals in der Galerie im Pferdestall, 20 Uhr. Alle Veranstaltungen bis Sonntag in der Kulturbrauerei, Knaackstr. 97, Prenzlauer Berg