Keine Angst vor Beitrittskandidaten

Die Erweiterung der Europäischen Union auf 27 Mitgliedsstaaten lässt sich „problemlos finanzieren“, sagt das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung. Besser gehe es allerdings mit Reformen in der Struktur- und Agrarpolitik. Und Eile sei angesagt

von BEATE WILLMS

Von wegen: Wer soll das alles bezahlen? Der Befürchtung, die Erweiterung der Europäischen Union um alle 12 Beitrittskandidaten sei nicht zu finanzieren, will das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) mit einer neuen Studie entgegentreten. Gemeinsam mit dem Institut für Agrarökonomie in Göttingen und dem Institut für Europäische Politik in Berlin haben die Forscher verschiedene Szenarien durchgespielt. Ergebnis: Auch eine EU mit 27 Mitgliedern statt der bisher 15 könnte die geltenden EU-Haushaltsvorgaben „problemlos einhalten“. Allerdings seien dafür Reformen in der Agrar- und Strukturpolitik nötig.

Die Forscher gehen davon aus, dass die vordringliche Aufgabe der Strukturpolitik in den nächsten Jahren darin bestehen wird, die Beitrittsländer an den EU-Durchschnitt heranzuführen. Und dass zugleich auch andere, außen-, sicherheits- und umweltpolitische Ansprüche an das EU-Budget steigen werden.

Die nahe liegende Möglichkeit, die Einnahmen zu steigern, wie es zum Beispiel die Memorandum-Gruppe der alternativen Wirtschaftswissenschaftler fordert, lehnen sie jedoch ab: Zum einen seien höhere Beiträge in den jetzigen Mitgliedsstaaten nur schwer vermittelbar und senkten dort den Willen zu Reformen, zum anderen könnten die neuen EU-Länder zu viel Geld auch nicht sinnvoll einsetzen. Der EU-Gesamthaushalt dürfe weiterhin nicht über die derzeit gültige Obergrenze von 1,27 Prozent des EU-BIP – der Summe aller in der EU erzeugten Waren und Dienstleistungen – steigen.

Zu schaffen ist auch das. Das zeigen die Szenarien der DIW-Experten zur EU-Erweiterung mit unterschiedlich starken Reformen. Bleiben alle Subventionen erhalten, läge der Anteil der Ausgaben für Struktur- und Agrarpolitik im Jahr 2013 bei rund 1,16 Prozent des EU-BIP. Bei radikalen Reformen sänke er auf 0,57 Prozent. Dazu müsste sich die Förderung künftig statt am regionalen am nationalen Wohlstand orientieren. Die Entwicklung Ostdeutschlands oder Süditaliens etwa würden dann entsprechend dem Subsidiaritätsprinzip als nationale Aufgabe gelten.

Im Agrarbereich plädieren die Experten für einen drastischen Abbau der Subventionen überhaupt und für eine Entkopplung von Zahlungen an die Produktion. Hier soll die Existenzsicherung der Bauern im Vordergrund stehen, nicht der Anreiz zu weiterer Produktion.

Die beiden Zahlen stellen nach Ansicht der Forscher die Eckwerte da, zwischen denen sich die EU-Politik in den nächsten Jahren bewegen wird. Sie plädieren für die radikalen Reformen und drängen zugleich auf einen raschen Anfang: Man könne nicht davon ausgehen, dass die neuen Mitglieder zu einem Motor von Veränderungen würden. Und für alle anderen dürfte es nach der Erweiterung womöglich noch schwieriger sein, einen Konsens oder zumindest Mehrheiten herzustellen.