Europas Forderungen sind voller Widersprüche

EU-Kommissar Lamy hat es nicht leicht: Er muss für Freihandel werben und zugleich Exportsubventionen für Europas Bauern verteidigen

BRÜSSEL taz ■ Für die belgischen Globalisierungsgegner und für die Polizei ist das Treffen der europäischen Handelsminister heute im nordbelgischen Brügge nicht mehr als ein erster Test. „Ich erwarte, dass die Demonstranten das Treffen nutzen werden, um sich zu organisieren und Erfahrungen zu sammeln“, sagte der Koordinator der belgischen Polizei, Herman Bliki, der flämischen Zeitung De Standaard. Die belgische Polizei will die Lehre aus Göteborg und Genua ziehen und auf Gewalt so lange wie möglich verzichten.

Tatsächlich steht die Globalisierung in Brügge auf der Tagesordnung: Die Handelsminister wollen ihre Position für Doha in Katar abstecken, wo vom 9. bis 13. November bei der Konferenz der WTO-Minister die nächste Welthandelsrunde vorbereitet werden soll. Die Vorverhandlungen in Mexiko vergangene Woche waren von den 18 Teilnehmerstaaten als Erfolg gewertet worden. EU-Handelskommissar Pascal Lamy hatte das Treffen eine „wichtige Etappe auf dem Weg nach Doha“ genannt.

Die Grünen im Europaparlament hatten dagegen die „Geheimniskrämerei“ kritisiert. Medien und Nichtregierungsorganisationen sei der Zugang erschwert worden, berichtete die grüne Abgeordnete Caroline Lucas. „Es ist erhellend, dass zu der gleichen Zeit, in der das europäische Parlament nach mehr Transparenz in der WTO verlangt, die führenden Mitglieder praktisch Geheimverhandlungen führen. Die WTO selbst hat das Treffen nicht öffentlich angekündigt“, ergänzte ihr belgischer Parteikollege Paul Lannoye.

Das Europäische Parlament hat sich zum letzten Mal im März auf eine gemeinsame Position zu den WTO-Verhandlungen verständigt. Sie muss bis November völlig überarbeitet werden, da sich die Lage durch Chinas Erklärung, der WTO beitreten zu wollen, verändert hat. Die Delegation des Europaparlaments, die die Verhandlungen in Doha beobachten wird, führte den ganzen gestrigen Tag über Gespräche mit Handelskommissar Lamy.

Eine Mehrheit quer durch die Parteien stützt Lamys Position bei den Gesprächen. Er hat sich mit seinem Engagement für die „Everything but arms“-Initiative (Abbau der Handelsschranken für die ärmsten Länder) den Ruf erworben, soziale Belange wichtig zu nehmen. Seine Rolle allerdings ist schwieriger als die der anderen Verhandlungsteilnehmer: Fünfzehn Handelsminister mit zum Teil widersprüchlichen Interessen sitzen ihm im Nacken. „Er ist ein sehr guter, logisch denkender Stratege. Sein Verhandlungsmanko aber ist die Rückbindung an den Rat“, urteilt die sozialistische Abgeordnete Erika Mann.

Tatsächlich muss die EU in Katar Forderungen plausibel machen, die noch widersprüchlicher sind, als die der anderen Teilnehmer: Lamy soll im Dienstleistungssektor eine Lanze für Freihandel brechen, gleichzeitig aber den Schutzraum für Europas „geistiges Eigentum“ erhalten. Er muss gegen Handelsprotektionismus wettern und dabei begründen, warum die EU ihre Exportsubventionen und Produktionshilfen für Bauern nicht abbauen will. Er muss bei den ärmsten Ländern dafür werben, dass seine Forderung nach umweltschonender Produktion kein westlicher Protektionismus ist.

Die großen Linien dieser Politik sollten nicht länger hinter verschlossenen Türen ausgehandelt werden, fordert Erika Mann. Gestern Nachmittag hat sie in Straßburg mit Parlamentariern aus nichteuropäischen Ländern zusammen gesessen, um in der Frage voranzukommen, wie die WTO durch eine ständige parlamentarische Versammlung demokratischer und transparenter werden kann. DANIELA WEINGÄRTNER