Jonathans erster Schultag

Zwischen Schultüte, Sonnenblume und einem geführten Halbkreis  ■ Von Sandra Wilsdorf

Jonathan wird seinen Eltern nie Zeugnisse zum Unterschreiben geben und nie Hausaufgaben machen. Er wird sich nie mit seinen Mitschülern prügeln, aber seinen Eltern auch nie erzählen, was er in der Schule erlebt hat. Sie werden in seinem Gesicht lesen, wenn sie wissen wollen, wie sein Tag war. Gestern hatte ihr Joni seinen ersten Schultag. Und er sah so aus, als hätte es ihm gefallen. Entspannt und irgendwie zufrieden.

Jonathan Gericke ist schwerst mehrfach behindert. Er kann nicht sprechen, nicht gehen, sich überhaupt nicht koordiniert bewegen. Was er von seiner Umwelt wahr nimmt, man weiß es nicht so genau. Er wird über eine Magensonde ernährt, und etwa zweimal die Stunde hat er einen Krampf. Dann schreit er, als täte ihm etwas weh und spuckt. Würde man ihn bei diesen Krämpfen nicht aufrichten, würde er ersticken.

Deshalb muss immer jemand ein Auge auf Jonathan haben, Tag und Nacht. Und deshalb mussten sich Margret und Manfred Gericke den Kindergartenplatz in der städtischen Vereinigung für Jonathan erkämpfen. Zu groß war zunächst die Angst vor einer solchen Verantwortung. „Ihr könnt Euch die Kinder nicht aussuchen, ihr müsst die nehmen, die die Welt hervorgebracht hat“, hat Manfred Gericke da gesagt und eine Betreuung für Jonathan durchgesetzt.

Das war vor vier Jahren. Inzwischen ist Joni im Schultütenalter, und das Friedrich-Robbe-Institut liegt nur zwei Straßen vom Haus der Gerickes entfernt. Aber jedes Jahr melden sich viel mehr interessierte Eltern geistig behinderter Kinder bei der Rudolf-Steiner-Schule für Seelenpflege-bedürftige Kinder, als es Plätze gibt.

Joni hatte Glück, gestern wurden sieben Erstklässler mit Musik, Sonnenblumen und Schultüten sehr herzlich in die Gemeinschaft aufgenommen, und er war einer davon. Ein Mädchen ließ sich nur an Papas Hand zu der der Lehrerin führen, ein Mädchen tanzte ihr entgegen, eines klopfte ohne Unterlass an ihr Plastiktelefon, ein Junge warf den Kopf hin und her, ein Mädchen wollte keinesfalls ohne die Mutter bleiben. Jonathan lag in seiner Karre auf dem Fell, ganz ruhig. Später in der Klasse ließ er sich streicheln, die Kreide in seiner Hand zu Strich und Halbkreis führen und studierte das Gesicht von Katharina Fiedler, einer der drei Frauen, die sich um die erste Klasse kümmern. Und vielleicht hat er ähnlich empfunden wie sein Vater: „Ich war sehr gerührt, weil ich das Gefühl hatte, die Kinder werden hier so angenommen wie sie sind.“