Schrilla US-Open-Thrilla

Das Duell mit Andre Agassi übersteht Pete Sampras nur mit ein paar Schmauchspuren. Am Samstag tritt der Russe Marat Safin im Halbfinale gegen den US-Amerikaner an

NEW YORK taz ■ Die Uhr zeigte kurz nach Mitternacht, und das Drama nahm seinen Lauf. Noch einmal Tiebreak, zum vierten Mal in diesem Spiel, Aufregung und Ovationen eines stehenden Publikums und zwei Gladiatoren auf dem Grund der riesigen Schüssel. Pete Sampras und Andre Agassi, der eine in Weiß, der andere in Schwarz, äußerlich zu Masken erstarrt, innerlich zum Zerreißen gespannt.

Nichts hatten sie sich geschenkt in den fast dreieinhalb Stunden vorher. Jeder Ballwechsel war ein ein Ritt auf der Rasierklinge, gefährlich und scharf. Keiner von beiden verlor seinen Aufschlag in diesem Spiel, und beide konnten sich hinterher nicht erinnern, so etwas jemals erlebt zu haben. Schon den ersten Satz hätte Sampras gewinnen können, doch die beiden folgenden schnappte er sich, und das Volk war aus dem Häuschen. So voll wie an diesem Abend war die mächtige Arena mit ihren 22.000 Plätzen noch nie. Elf Jahre zuvor hatten sie bei diesem Turnier zu ersten Mal gegeneinander gespielt. Sampras war ein schüchterner Kerl von gerade mal 19 Jahren. Agassi war ein Jahr älter, der Popstar des Tennis, hatte ein paar Monate zuvor in Paris sein ersten Grand-Slam-Finale verloren und verlor überraschend auch dieses zweite gegen den fast kindlich jungen Pete.

Nun die dritte Begegnung: das Spiel der Spiele schon im Viertelfinale. Schuld daran war Sampras. Nach einem durchwachsenen Jahr, in dem er keinen Titel gewonnen hatte, war er in der Rangliste zurückgefallen, und in der Setzliste stand er nur an Nummer zehn. Agassi auf zwei. Auf jeden Punkt kam es an, es sah so aus, als könne jeder den Lauf der Dinge verändern. „Das ist das Schwierige daran“, sagte Agassi später, „aber darin liegt auch die Schönheit.“ Alle wollten dieses Spiel sehen. Die Jungen wie Marat Safin oder Andy Roddick sagten, diesen Klassiker könne man sich nicht entgehen lassen, auf der Tribüne fieberte Mrs. Sampras mit, und selbst Steffi Graf war erschienen, um Andre siegen zu sehen.

Viermal Tiebreak – viermal das logische Ende eines Satzes mit minimalen Vorteilen hüben wie drüben, und Pete Sampras war im Showdown um Mitternacht der bessere, der nervenstärkere Mann. Machte aus 1:3 ein 5:3, verwirrte Agassi, der ihn daraufhin mit einem Fehler beim Volley drei Matchbälle schenkte, vergab die ersten beiden bei eigenem Aufschlag, doch beim dritten landete der Ball des Gegners im Netz. Das war das Ende. Begeisterung und Beifall, der wie ein Wasserfall von den Rängen auf den Boden der großen Schüssel fiel, und mittendrin die alten Rivalen. Fast sah es so aus, als wollten sie sich umarmen. Fast.

Für Andre Agassi sind die US Open 2001 vorbei. Für Pete Sampras geht die Reise weiter, am Samstag im Halbfinale gegen Marat Safin. Gegen den hat er im Vorjahr im Endspiel verloren, doch Safin ist nach einem lausigen Jahr in New York wieder in Form gekommen. Aber wer Sampras beim Sieg gegen Pat Rafter und beim Klassiker mit Agassi gesehen hat, der weiß, dass auf einmal wieder alles möglich ist.

DORIS HENKEL