EU-Parlament hält sich raus

Kein Untersuchungsausschuss und wenig Kritik an Polizeiübergriffen beim G-8-Gipfel in Genua

aus Brüssel DANIELA WEINGÄRTNER

Für Ozan Ceyhun, den ehemals grünen, jetzt sozialdemokratischen EU-Abgeordneten aus Rüsselsheim, ist alles nur ein Kommunikationsproblem: Am Montag habe man im Innenausschuss des EU-Parlaments den britischen Liberalen Graham Watson beauftragt, einen Bericht zu den Vorfällen von Genua zu verfassen. Warum das am Mittwoch, als das Thema im Plenum auf der Tagesordnung stand, von Liberalen und Sozialisten nicht erwähnt wurde, darüber will sich auch Martin Schulz, der Chef der deutschen Sozialdemokraten im EU-Parlament, nicht äußern.

Jedenfalls konnten sich die Abgeordneten nicht auf eine gemeinsame Stellungnahme einigen. Der österreichische grüne Abgeordnete Johannes Voggenhuber glaubt inzwischen auch nicht mehr, dass er die nötigen 160 Stimmen zusammenbekommt, um einen Untersuchungsausschuss zu beantragen.

Nicht einfach sei es, mit den italienischen Kollegen in der eigenen Fraktion eine Linie zu finden, sagte SPD-Mann Schulz der taz. „Wenn man auf die Vorfälle in Genua in angemessener Form reagieren will, muss die sozialdemokratische Fraktion noch einen Zahn zulegen“, lautet die vorsichtige Formulierung, zu der er sich durchringt. Kommende Woche will sich Schulz mit Eltern inhaftierter Jugendlicher und mit aus der Haft entlassenen Demonstranten treffen, um Fakten zu sammeln.

Wer am Mittwochnachmittag die Genua-Debatte in Straßburg verfolgte, hätte meinen können, das Europaparlament bestehe nur aus Italienern. Zwar schob der italienische Kommissionspräsident Romano Prodi Terminschwierigkeiten vor, schickte aber Antonio Vitorino, seinen für Inneres und Justiz zuständigen Landsmann, in den Ring. Nicht weiter erstaunlich, dass Vitorino den international kritisierten Polizeieinsatz beim G-8-Gipfel als Angelegenheit Italiens bezeichnete. Zwar müsse die europäische Zusammenarbeit auf dem Gebiet von „law and order“ verbessert werden. Die Hauptverantwortung für die innere Sicherheit liege aber beim jeweiligen Mitgliedsstaat. Mit Bona-fide-Organisationen, also den netten Vertretern der Zivilgesellschaft, solle ein Dialog geführt werden. Die guten Ergebnisse, die in Genua erreicht worden seien, dürften nicht von der Gewaltdebatte überdeckt werden. Schließlich setze sich gerade die Europäische Union dafür ein, Armut in der Welt zu bekämpfen und die Unterschiede zwischen Arm und Reich abzubauen.

Die Kollegen Antonio Tajani (konservative Fraktion), Giovanni Procacci (Liberale) und Cristina Muscardini (Antieuropäer) hatten dem nichts Wesentliches hinzuzufügen. Auch der spanische Sozialistenchef Enrique Barón Crespo mied deutliche Worte. Zwar hätte seine Fraktion durchaus eine Resolution zu den Vorfällen begrüßt, dränge auch darauf, dass alles restlos aufgeklärt werde – man wolle aber doch zunächst das Ergebnis der Untersuchungen im italienischen Parlament abwarten. Rednern der Grünen und der Vereinigten Linken – kein Italiener darunter – blieb es vorbehalten, die Vorfälle von Genua beim Namen zu nennen. Der 60-jährige Spanier Pedro Marset Campos sagte, es sei in Genua schlimmer zugegangen als unter Franco. Ein heftiger Vorwurf – und viele Fragen, für die sich aber nur eine Minderheit des Parlaments zu interessieren scheint.