piwik no script img

Zwölf Stunden in der Ewigkeit

Die Finkenwerder Fischerflotte war einst die größte des Deutschen Reiches. Heute finden die „3,5“ Elbfischer kaum noch geeignete Ankerplätze. Der Nachwuchs ist dennoch eins mit dem Strom und seiner Geschichte  ■ Text & Fotos von Markus Scholz

Die Veränderung ist erst kaum zu bemerken, dort, am Horizont, wo das graue Elbwasser über einen Dunststreifen in den blauen Spätsommerhimmel übergeht. Doch bald wird es deutlich: Sie werden immer mehr, und sie kommen näher. Sie lassen sich treiben. Tun so, als interessiere sie das rot-weiße Schiff nicht, das querab der Fahrtrinne vor Neßsand in der Elbe liegt. Als ihre Zahl die Hundert sicher übersteigt und sie bereits das achtern vertäute Beiboot erreicht haben, geht ein Ruck durch den Fischer. „ Na ,denn woll'n wir mal.“ Eberhard Rübke grinst: “Die Möwen haben den Tide-Kalender ja wohl ganz genau im Kopf“. Er braucht nicht mehr auf die Uhr zu schauen, um zu wissen, dass die Vögel genau richtig liegen. Zweimal in vierundzwanzig Stunden, jeweils kurz vor dem Wechsel von Flut zu Ebbe, holt der 46-Jährige seine zwei, rechts und links von zehn Meter langen Auslegern in den Strom gehaltenen Netze ein, mit denen er den Aal fischt. Jetzt ist es wieder so weit .

Rübke ist einer der letzten Hamburger Elbfischer. Später, als Kollege Björn zu Besuch an Bord ist, weil der heute Abend auch mit seinem grünen Kutter an derselben Stelle fischen will, werden sie sagen, es gebe „noch 3,5 von ihnen“. „Wenn du bedenkst, dass zu Beginn des letzten Jahrhunderts die Finkenwerder Fischerflotte noch die größte des Deutschen Reiches war, dann ist das schon traurig. Aber wir spielen eben keine grosse Rolle in Hamburgs Wirtschaft.“ Wer eine Rolle spielt, ist auch von Bord der „Luise“ unschwer auszumachen. Saugbagger bringen Sand stromaufwärts, um für die „Dasa Industries“ das Mühlenberger Loch zuzuschütten, und Schiffe, mit mehreren Tausend Containern schwimmenden Gebirgen gleich, streben, von stundengenauen Fahrplänen getrieben, ihren Entladeterminals zu.

Rübke, dessen Großvaters Kutter heute im Övelgönner Museumshafen liegt, betrachtet den Elbestrom mit dem geschärften Blick auch aller Fischer vor ihm . „Die Eingriffe ins Flussbett sind es, die uns vertreiben. Es gibt einfach keine Plätze, an denen wir fischen können“. Indem er das sagt, schaut er gleichsam unter die Wasseroberfläche, denkt in Strömungen, Kanten, Trichtern und Wirbeln, die den Zug der Fischschwärme steuern, in seine Netze oder daran vorbei. „Denk mal, die Elbe soll bald auf 18 Meter Tiefe ausgebaggert werden“.“Da rauschen dann Ebbe, Flut und Fisch mittig in einem schmalen Kanal, in den er seine Netze nicht hängen kann - „ wir kommen ja man bloß so zwischen zehn und höchstens 13 Metern“ - und auch gar nicht hängen darf. Heute gibt es nur noch drei, vier Plätze, an denen es sich lohnt, die Netze ins Wasser zu lassen.

Und wie viele können davon wohl leben? Rübke hatte Glück, der Zufall des Lebens – „ich weiß auch nicht, da hat wohl jemand meine Telefonnummer weitergegeben“ – brachte es mit sich, dass er auch für Behörden und Wissenschaftler fischt. Ende August war er in einem Naturschutzgebiet vor Sylt für eine Bestandsaufnahme der dortigen Fischpopulation, zweimal im Jahr fischt er vor dem Atomkraftwerk Stade, „die woll'n wohl seh'n, ob da Radioaktivität im Fisch ist“, und es erreichen ihn auch Mobilfunkanrufe, wenn irgendwo in der Stadt eine bestimmte Fischart für Untersuchungszwecke gebraucht wird.

In der Regel verläuft der Alltag des Fischers allerdings eher eintönig. Zweimal am Tag die Netze ausbringen, zweimal am Tag oder eben auch in der Nacht die Netze wieder einholen. Und in der Zwischenzeit? „Da male ich mein Schiff an.“ So geht das ein Dreiviertel Jahr, von Frühjahr bis Herbst. Abwechslung gibt's höchs-tens mal, wenn die Familie übers Wochenende zu Besuch an Bord kommt. Heute ist Rübkes Sohn Hannes da. Der ist neun und hat gerade Schulferien. “Hannes ist sonst ein bisschen unruhig, dem tut das ganz gut, hier draußen zu sein.“

Man sieht es. Die Luise ist auch Hannes' Schiff. Er kennt sich aus, hat offensichtlich jeden Knopf schon mal gedrückt, jeden Hebel schon mal umgelegt, und Rübke, den er zärtlich „Ebbo“ nennt, lässt ihn gewähren. Heute ist es der neue kleine Dieselmotor, der es dem Sohn angetan hat. Er konstruiert einen Wasserschutz für den noch provisorischen Auspuff, er lässt die Maschine laufen, um die Akkus aufzuladen, er ist im Steuerstand, in der Kombüse, im Maschinenraum. Aber Hannes Welt ist noch größer, viel größer. Wenn ihm danach ist, geht die Fahrt mit dem Beiboot los. Dann gehört der große Strom ihm. Ob er Björn entgegenfährt, zwei scharfe Wellen um dessen Kutter zieht, dabei winkt und lacht, oder sich aufmacht nach Neßsand, der Insel mit dem kilometerlangen Sandstrand, die dann nur ihm gehören wird - hier ist ein kleiner Mensch eins mit der Elbe und seiner Geschichte, der Geschichte der Hamburger Fischer.

In der Zwischenzeit hat Eberhard Rübke seine Netze eingeholt, immer rechts und links abwechselnd – „da darf sich nichts verkanten, wir haben einen sehr hohen Schwerpunkt, so ein Schiff kann schnell umkippen und sinken“ –, bis sie außenbords so am Schiff hängen, dass er ihren Inhalt mit einem Käscher an Bord holen kann. Der Fang heute , „nicht der Rede wert“. Aale gerade so viel, dass sie den Boden eines Eimers bedecken, zwei, drei Schollen, ein Zander, der zu klein ist und über Bord geht und jede Menge fingergroße silbrige Stinte, mit denen nichts anzufangen ist. Rübke bleibt gelassen, er weiß, er muss nur geduldig weiterfischen, dann gibt's auch Erfolge. „Ich lag mal hier und Björn da drüben, so wie jetzt, und da hab ich in einer Nacht zig Zentner Aale rausgeholt, und er gar nichts.“ Sagts, lächelt verschmitzt und geht jetzt erst mal Kaffee kochen. Wo die Möwen sich von ihrem Stint-Festmahl ausruhen, weiß auch Hannes nicht. Dass sie aber in zwölf Stunden wieder da sein werden, das ist doch wohl selbstverständlich.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen