Die Arbeitsförderung reformieren

■ Katja Barloschky, Chefin der neu gegründeten Bremer Arbeit GmbH über die Rolle der Erwerbsarbeit, Sanktionen gegen Sozialhilfefälle und die Grenzen der Arbeitsförderung

Auch der Kanzler bekennt, die Arbeitlosenzahlen nicht senken zu können, und just in diesem Moment machen Konzepte die Runde, mit denen SozialhilfeempfängerInnen zur Arbeit verpflichtet werden sollen. Gibt es denn genug Arbeit?

Katja Barloschky: Nein, gibt es nicht. Das Konzept, SozialhilfeempfängerInnen ,auch' arbeiten zu lassen, klingt so, als ob wir ihnen real allen Arbeit geben könnten – davon kann keine Rede sein. Schön wär's. Zugleich wird Erwerbslosigkeit mit Untätigkeit und Faulheit gleichgesetzt. Auch davon kann keine Rede sein. In Krisenzeiten gibt es eine große Sehnsucht nach einfachen Antworten, der Stammtisch reicht inzwischen weit hinein in hochgebildete Kreise. Die Sache ist aber deutlich komplizierter.

taz: Gemeinplätze machen dennoch die Runde. In Hessen heißen sie „Wisconsin“ und „Workfare“, hier heißt das Konzept „Fördern und Fordern“. Was halten Sie von all dem?

Alle drei Begriffe beruhen tatsächlich auf einer ähnlichen Grundidee. Es kommt aber auf den Gestus und auf die Details an. Klar muss sein, dass es kein Konzept ist, um das Arbeitsmarktproblem zu lösen. Das ist übrigens auch nicht die Aufgabe der Arbeitsmarktpolitik, sondern Sache der Wirtschaftspolitik. Wir müssen vielmehr vermitteln zwischen Anforderungen auf dem Arbeitsmarkt – welche Arbeitskräfte brauchen die Betriebe? – und andererseits dem Angebot, was an Arbeitskräften da ist: Wo stehen die Menschen, wo gibt es Nachholbedarf, wo muss Weiterbildung oder qualifizierende Beschäftigung stattfinden?

Und jetzt also „Fördern und Fordern“

Das ist ein Instrument, ein Grundgedanke im Rahmen der Arbeitsmarktpolitik. Dahinter steht die Frage: Ist es menschenwürdig, Menschen, die quasi aussortiert sind aus dem, was diese Gesellschaften zusammenhält – nämlich Erwerbsarbeit – regelmäßig einen Scheck in die Hand zu drücken und zu sagen, mach' doch, was du willst? Ist es nicht stattdessen richtig, darauf hinzuarbeiten, dass diese Menschen nicht mehr dauerhaft abhängig bleiben? Wenn das stimmt, dann ist vor allem Befähigung angesagt, dann ist Unterstützung notwendig, um den Weg aus der Sozialhilfe heraus zu finden. Darauf wollen wir uns konzentrieren anstatt auf das Verwalten. Und dabei bin ich für Verbindlichkeit. Aber das setzt voraus, dass die Angebote vorhanden sind, die auf den Betroffenen zugeschnitten sind und nicht auf Institutionen. Dann habe ich auch nichts gegen Mechanismen der Sanktionierung.

Wann stimmt denn ein Angebot? Sie werden das als bag-Chefin ja nicht im Einzelfall definieren. Die alleinerziehende Mutter, die nun endlich einen Kindergartenplatz und eine Halbtagsstelle bekommen soll, wird in vielen Fällen dankbar sein, nicht als Sozialhilfefall betrachtet zu werden. Es gibt aber auch den anderen Fall, den die grüne Opposition anführt: Der Jugendliche, der einzig den Gabelstaplerführerschein angeboten bekommt und damit die Aussicht, 30 Jahre Gabelstapler zu fahren und damit nicht einmal eine Familie ernähren zu können?

Das Angebot für die alleinerziehende Mutter stimmt – meiner Meinung nach kommt es unendlich spät. Unter „Das Angebot stimmt“ verstehe ich, dass es Angebote gibt, unter denen die Leute auswählen können. Und der Jugendliche wäre, wenn er keine bessere Idee hat, gut beraten, den Gabelstaplerschein zu machen. Die Kritik an einer Perspektive als Gabelstaplerfahrer berührt grundsätzliche Fragen wie zum Besipiel das Tarifgefüge. Sollen wir aber angesichts dieser Fragen dem jungen Mann empfehlen, sich daran zu gewöhnen, von Sozialhilfe zu leben? Die Grundsatzdebatte hat etwas mit gesellschaftlichen Entwicklungen wie der Individualisierung zu tun, mit der Geschlechterfrage, damit, dass das Ernährermodell nicht mehr stimmt – ein ganz weites Feld. Ich bin völlig dafür, über diese Zusammenhänge zu diskutieren, aber bitte nicht im Gegensatz oder als Alternative zu konkreten Integrationsbemühungen. Gesellschaftliche Kontrakte brechen an allen Ecken auf – man spürt das förmlich. Arbeitsförderung wird aber noch gefahren auf der Basis ganz alter Kontrakte. Daran muss auf Bundesebene dringend gearbeitet werden; der vorliegende Entwurf zur Reform der Arbeitsförderung kann ein erster Schritt werden. Ich bin dafür, dass der Streit offen ausgetragen wird. Sozialhilfeausgaben einsparen zu wollen, ist ein gutes Ziel. Was soll falsch daran sein, angesichts der verzweifelt hohen Sozialhilfeausgaben der Stadt? Empörung wäre erst dann angesagt, wenn die Einsparungen auf Kosten der Menschen und nicht durch ihre Integration zustande kommen.

Die Fahne der Erwerbsarbeit halten Sie ganz pragmatisch und qua Amtes hoch, obwohl Sie jetzt gute Argumente dafür genannt haben, warum die Diskussion eigentlich in eine andere Richtung gehen müsste.

Sie muss beides tun. Wir brauchen eine Debatte über einen erweiterten Arbeitsbegriff. Aber parallel dazu ist es so, dass, wer in diesem Land keinen Erwerbsarbeitsplatz hat, Gefahr läuft, von der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen zu werden. Und ich bin unbedingt dafür, dass gefälligst alles dafür getan wird, damit möglichst alle eine Chance bekommen. Zugleich muss Arbeitsmarktpolitik modernisiert werden, beispielsweise müssen Brüche in der Erwerbsbiografie gezielt begleitet und gestützt werden.

Gibt es auch Menschen, denen gar nicht zu helfen ist?

Es gibt Menschen, die werden auf Dauer keinen Zugang mehr zur Erwerbsarbeit finden, weil die Anforderungen sich rasant nach oben schrauben – und gerade deshalb muss ihnen unbedingt geholfen werden. Statt sich permanent in die Tasche zu lügen und Sprungbretter für diese Menschen zu erfinden, sollten wir lieber zusätzliche Instrumente erfinden, die auf eine längere Zeitspanne ausgerichtet sind und den Menschen ermöglichen, ihre Produktivität einbringen zu können – ich kenne nämlich niemanden, der sich da verweigert. Es sei denn, jemand macht Kunst, da finde ich, er soll dann lieber Künstler sein und nicht Rasen mähen. Der soll wie die Maus Frederick Farben und Geschichten sammeln – das ist auch Arbeit.

Das würde einen dauerhaften 2. Arbeitsmarkt bedeuten. Die Bremer CDU ist dagegen der Meinung, so viel Fördergeld wie möglich auf den ersten Arbeitsmarkt umzusteuern, denn im Rahmen einer Maßnahme könnten die Leute sich bei ihren künftigen, potenziellen Chefs bewähren, was bei Beschäftigungsträgern ja nicht geht.

Ich glaube, dass die Beschäftigungsträger sich zu arbeitsmarktpolitischen Dienstleistern weiter entwickeln und sich auch immer wieder ihrer Existenzberechtigung vergewissern müssen. Die wenigsten Arbeitgeber sind bereit, sich mit Beladenen auseinanderzusetzen, zum Beispiel mit Menschen, die nochmal ganz von vorne anfangen müssen. Die Träger sollten darüber nachdenken, wie sie noch klarer die Scharnierfunktion wahrnehmen könnten, wie sie Arbeitgebern die Zielgruppen andienen könnten. Zugleich brauchen wir „Ersatzarbeitsplätze“ für solche Menschen, die lange und viele Leitern für eine arbeitmarktpolitische Integration brauchen. Wir wollen als bag im Laufe der nächsten Wochen Vorschläge für solche niedrigschwelligen Angebote machen.

Wie ist denn das Verhältnis zu Ihren ehemaligen Kollegen bei den Beschäftigungsträgern? Sind die mit den neuen Konzepten zufrieden?

Die meisten meiner ehemaligen Kollegen finden es richtig, dass der Wettbewerb eröffnet wird. Auch dass wir die bisherigen Einzelprogramme zu einem Landesprogramm zusammenfassen wird begrüßt.

Bedeutet ein Landesprogramm, dass in Ihrem Hause über die angemessenen Maßnahmen entschieden wird?

Die Kernentscheidungen trifft nach wie vor das Arbeitsamt. Denn von dort kommt das meiste Geld. Das Land ergänzt und nimmt darüber Einfluss. Über diese Landesmittel – rund 120 Millionen Mark im Jahr – entscheidet künftig die bag auf der Grundlage der politischen Vorgaben der Parlamentarier und des Ressorts. Wir werden der Deputation vorlegen, wer gefördert werden soll und wer nicht, welche Projekte sinnvoll sind und welche nicht. Und: wir werden Vorschläge machen über die Weiterentwicklung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente.

Der Etat der Landesmittel ist überbucht, das Ressort hat sehr viel mehr Geld bewilligt, als eigentlich zur Verfügung gestanden hätte, und die Löcher mit Geldern der kommenden Jahre gestopft. Müssen Sie also mit einem Minus eröffnen?

Die Mittel sind uns noch nicht übergeben worden – ich kann also heute nicht sagen, mit welcher Eröffnungsbilanz die bag antritt. Ich hoffe inständig, dass wir nicht mit Schulden oder mit Null beginnen müssen. Das würde bedeuten, dass wir faktisch überhaupt keinen Spielraum mehr hätten. Dass die Spielräume in den nächsten Jahren insgesamt eng sind, ist auch klar.

Nochmal zurück zu den Beschäftigungsträgern. Bisher konnten sie sich einen Kuchen teilen, jetzt müssen sie sich um Geld bewerben. Finden die das wirklich so gut?

Die Träger im Verein Bremer Beschäftigungsträger haben immer schon die Förderung aus einer Hand gefordert ebenso wie sie für eine Dienstleistung bezahlt werden und nicht irgendeine „Zuwendung“ bekommen wollen. Außerdem läuft unser Wettbewerbsaufruf ja gerade nicht nach dem Motto: „Der billigste bekommt den Zuschlag“, es geht vielmehr um Qualität. Gegen Wettbewerb haben sie nichts: Das belebt das Geschäft – eines der Hauptargumente, mit denen die Trägervielfalt begründet wurde. Das finde ich alles nach wie vor richtig.

Die Trägervielfalt auch? Es kursieren Gerüchte, dass die Trägerlandschaft eingedampft wird.

Es gibt aus arbeitsmarktpolitischer Sicht überhaupt kein Interesse daran, die Trägerlandschaft einzudampfen, weil das bedeuten würde, dass wir die Individualität und auch den Wettbewerb einschnüren würden – das wäre dumm.

Gibt es dennoch Bedenken seitens der Träger?

Ja, es gibt auch massive Bedenken: Wird dieser Richtwert – das Geld also, das wir den Trägern für die zu vergebende Maßnahme pro Platz und pro Jahr in Aussicht stellen – den unterschiedlichen Branchen gerecht. Kann beispielsweise ein teures Gewerk wie Bootsbau dann kein Angebot machen? Manche fürchten außerdem, dass die Anforderungen zu hoch sind. Die Latte an Erwartungen ist in der Tat und zu recht hoch: Die Dienstleister müssen über ein funktionierendes Qualitätsmanagement-System verfügen und eine ganze Reihe anderer Punkte erfüllen – Standards, die nicht unbedingt alle schon erbringen.

Zum Schluss die Frage: Was kann man sich von der Bremer Arbeit Gmbh und der Bremerhavener Arbeit Gmbh erstens aus Sicht des Arbeitslosen und zweitens aus Sicht der Politik versprechen? Und was versprechen Sie sich?

Landesmittel werden künftig aus einer Hand vergeben. Bisher bewilligte das Arbeitsressort einerseits und die Werkstatt Bremen andererseits die verschiedenen Maßnahmen. Die Frage heißt in Zukunft: Was braucht die Person? Es gibt also eine Umsteuerung hin zur Nachfrageorientierung. Das wird den Betroffenen unmittelbar und spürbar zugute kommen. Für die arbeitsmarktpolitischen Dienstleister heißt das, sie müssen flexibler werden, auf die Bedürfnisse der Einzelnen schneller einsteigen können. Und von uns, von der bag, wird erwartet, dass sie eine zentrale Steuerung des Angebots hinkriegt, zugleich aber ermöglicht, dass diese Steuerung immer wieder rückgekoppelt wird mit den Sozialzentren und den aktivierenden Fallmanagern. Was ich für mich positiv an dem Seitenwechsel finde – vorher war ich Interessensvertreterin, jetzt bin ich Mitentscheiderin – ist, dass ich mehr Einfluss nehmen kann. Ich habe nicht vor, mich zu vergraben. Wenn erwartet wird, dass die bag Impulse setzt, dann müssen wir auf dem Laufenden sein. Die bag macht keine Politik, sie hat eine gute fachliche Arbeit abzuliefern. Dafür braucht sie aber den Blick auf die Entwicklungen in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. Fragen: Elke Heyduck, Susanne Gieffers