L. A. sehen und drehen

Regiestudenten der Potsdamer Hochschule für Film und Fernsehen machen vier Wochen lang Filme in Hollywood. Auch dabei: ihr Professor Rosa von Praunheim

Paul Berg ist krebskrank. Als ihm die Ärzte nur mehr drei Prozent Überlebenschance geben, verlässt er Familie und Heimat und lebt fortan als „Namenloser“ in Los Angeles. Dort beobachtet er mit einer Digitalkamera er Fremde, um sich von seinen Gedanken an den Tod abzulenken. Dabei entdeckt er eine junge Osteuropäerin, die sich am Strand mit gut aussehenden Fremden fotografieren lässt und die Fotos anschließend nach Hause schickt.

Mit dem Drehbuch für seinen Kurzfilm „Three Percent“ hat sich Robert Thalheim zusammen mit neun weiteren Regiestudenten aus der Hochschule für Film und Fernsehen Potsdam-Babelsberg (HFF) Anfang September auf den Weg nach Hollywood gemacht. Sie wollen dort einen Monat lang Spiel- oder Dokumentarfilme drehen. Begleitet werden die Filmhochschüler von drei Kamerastudenten und ihrem Professor Rosa von Praunheim.

Es war Praunheims Idee, nach Hollywood zu fahren. Nicht nur stünden dort, wie er sagt, viele seiner Freunde „mit Rat und Tat zur Verfügung“. Auch das Hotel, wo der 58-jährige Filmemacher seine Schützlinge untergebracht hat, ist ihm bestens vertraut: Im „Highland Gardens“ drehte er vor drei Jahren „Can I Be Your Bratwurst, Please?“ für eine Erotikreihe der ARD.

Praunheim hatte für sein ehrgeiziges Projekt wenig Probleme, die nötigen 180.000 Mark zusammenzubekommen. „Ich habe einen Namen, der ist ein Garant.“ Vor vier Jahren arbeitete er bereits mit sechs Studenten der Berliner Film- und Fernsehakademie in New York – im Rahmen eines Sat-1-Projekts. Dieses Mal wurden die Studenten im Vorfeld von Redakteuren des ORB und von Arte bei ihren Drehbüchern betreut. Die beiden Sender zahlen auch den Löwenanteil an den Reise- und Produktionskosten und nehmen die fertigen Filme voraussichtlich 2002 in ihr Programm.

Zehn mit handlichen Digitalkameras aufgenommene Kurzfilme, alle um die 15 Minuten, sollen die „Traumfabrik“ Hollywood aus unterschiedlichsten Perspektiven zeigen. So erzählt André Hörmann gleich aus drei unterschiedlichen Sichtweisen, was sich in dem Leben einiger Durchschnittsfiguren während einer Rattenplage in L. A. abspielt. Maja Classen lässt zwei Liebende, eine Deutsche, deren Aufenthaltserlaubnis abgelaufen ist, und einen Venezolaner, ihre letzte gemeinsame Nacht in Hollywood verbringen. Dietrich Brüggemanns Protagonistin hält in einem Supermarkt einen jungen Angestellten für Keanu Reeves. Und ein berühmter, sehr potenter Schauspieler hat in Bartosz Werners videoclipähnlichem Film nur Pech bei Frauen. Der Faszination für Nazi-Trash in L. A. will Jasmin Hermann nachgehen. Till Passow sucht in einer Nervenklinik einen Patienten auf, der sich für Robert De Niro hält, und nimmt ihn ernst. Das Leben wohlhabender Hunde in Hollywood mit ihren Masseuren und Psychotherapeuten sowie ihren obskuren Herrchen und Frauchen ist das Thema bei Dirk Hilbert. Thorsten Trimpop erforscht „diverse Räume“ in L. A. und Athanasios Karanikolas begibt sich schließlich auf die Suche nach Menschen, die dem herrschenden Körperkult nichts abgewinnen können. „Sie sind alle Genies, alle großartige Talente, die das deutsche Kino bereichern werden“, schwärmt Rosa von Praunheim von seinen Studenten. Für sie verspricht der Hollywood-Aufenthalt trotz der halbherzigen Drohung ihres Mentors, ihnen das Leben dort schwer zu machen, „ein Riesenspaß“ zu werden.

Entsprechend begehrt sind bei den über 500 angehenden Filmleuten die wenigen Kurse, die von praxiserprobten Regisseuren wie Margarete von Trotta angeboten werden. Bei Rosa von Praunheim konnten in diesem Jahr nur zehn von ihnen landen. Immerhin hat er sich für fünf Jahre an die HFF als Dozent gebunden. Und das, obgleich seine Meinung über die Ausbildung an der ältesten und größten der fünf Medienhochschulen in Deutschland sehr kritisch ausfällt: „Es gibt viel unsinnige Theorie, die unkoordiniert unterrichtet wird.“ Studenten würden an Frust und Bürokratie leiden. Unter solchen Umständen habe es der Regieunterricht an der HFF schwer.

Damit sich daran in absehbarer Zeit etwas ändert, hat Praunheim seinen Lehrerkollegen den Kampf erklärt: „Am Arsch werde ich den Einzelnen packen, damit die Professoren sich erinnern, dass sie eine verantwortungsvolle Aufgabe haben.“ An „einer großen Portion Unverschämtheit“ würde es ihm nicht mangeln, meint Praunheim in guter, alter Kämpfermanier.

Allerdings erst nach der Rückkehr aus Hollywood. Bis dahin gelte es für ihn, seinen Zöglingen mit Rat und Tat beiseite zu stehen. Schließlich würden die in Hollywood „wahnsinnige Filme“ machen wollen.

NINO KETSCHAGMADSE