Problematische Kunstauffassung

betr.: „Wir haben den Tanz vollzogen“ (Jüdisches Museum Berlin), taz vom 29. 8. 01

Es ist ein alter Trick, anderen die Leistungen abzusprechen, die man selbst als Erster vollbracht haben möchte. Dass Thomas Friedrich, „Leiter des Dauerausstellungsteams“ des neuen Jüdischen Museums in Berlin, das Pariser Musée d’Art et d’Histoire du Judaïsme (Museum der Kunst und Geschichte des Judentums) als „Kunstgewerbemuseum“ bezeichnet, zeugt von Unkenntnis, Unverfrorenheit und einer problematischen Auffassung von Kunst.

Wie der Name bereits andeutet, stehen im Pariser Museum die (politische und kulturelle) Geschichte sowie die Kunst im Mittelpunkt des Konzepts. Sind etwa die Bilder von Lipchitz, Soutine, Marcoussis, Pascin, Chana Orloff, Kisling, Modigliani und der von ihnen inspirierten École de Paris keine Kunst? Und die Dokumente der Dreyfus-Affäre keine Geschichte?

Im Pariser Museum sind auch seltene Objekte der religiösen Kunst wie Synagogen oder Thoraschreine zu sehen. Welche arrogante oder ethnozentrisch-modernistische Auffassung von Kunst steckt hinter der Abqualifizierung religiöser Kunst als Kunstgewerbe? Sind die in Paris ausgestellten alten bemalten Laubhütten etwa keine Kunstwerke? Künstler wie Lissitzky, An-Ski, Ryback, Chagall wussten es einst anders. NATALIA STEIN, Osnabrück