Linke Welten – fett gedruckt

Am Dienstag in der Schilleroper: Birgit Utz liest aus ihrem Nazi-Krimi „Alte Bande“  ■ Von Doro Wiese

Neulich saß ich mit einem Freund in der Kneipe und sinnierte über alte Zeiten. Wir unterhielten uns über Bücher, die uns bewegten und bewegen. Nachdem wir unzählige melancholische und sentimentale Gefühlszustände durchlaufen hatten, resümierte er schließlich, dass es viel zu wenig Bücher „über uns“ gäbe. Ich stimmte zu. Denn der Effekt, von einem Roman ergriffen zu sein, weil man sich in irgendeiner Weise repräsentiert sieht, stellt sich in der Tat ziemlich selten ein.

Zwar schaffe ich es ohne Probleme, mich in die Haut des schwulen Ich-Erzählers in Die Germanistin zu versetzen, aber viele Gemeinsamkeiten einer Lebenswelt kann ich dort nicht entdecken. Allzu sehr gewinnt in dieser Geschichte „das Außergewöhnliche“ im Erfahrenen und Erlebten die Oberhand. Und da in vielen Büchern das Ungewöhnliche seinen Platz bekommt, während das Alltägliche leer ausgeht, findet sich in ihnen eine mir bekannte Welt nicht ein.

Dass diese Distanz vermittelnde Fremdheit des Lebensgefühls nicht sein muss, zeigt der Debütroman Alte Bande der 1970 in Karlsruhe geborenen Wahl-Hamburgerin Birgit Utz. Nahezu exemplarisch stehen die Charaktere für eine Generation undogmatischer Linker ein, die sich in den 1980ern und 1990ern in den autonomen Jugendzentren herumtrieben, Punkrock hörten oder spielten und der Welt mit ihren Ideen ein schöneres und gerechteres Gesicht geben wollten. Und die heutzutage, da die Zeit nicht still steht, in Online-Redaktionen sitzen und auf Techno-Events gehen.

Utz widmet sich diesen Menschen, indem sie drei fiktionale, ehemalige Mitglieder einer autonomen Rockband anlässlich eines Todesfalls erneut aufeinander treffen lässt. Obwohl sich entlang dieses Todes eine Kriminalhandlung entfaltet, sind es gerade die sorgfältig ausgestalteten Charaktere, die einen die Seiten umblättern lassen. Süchtig nach ihrer Bekanntschaft vermeint man, in ihnen die Gedanken-, Gefühls- und Verhaltenswelt von FreundInnen wiederzufinden, und möchte mehr über deren aktuelle Situation erfahren.

Dennoch steckt auch in der Kriminalhandlung ein wichtiges Thema, denn schließlich geht es darum, ob Nazis das ehemalige Band-Mitglied Lisa umgebracht haben. Die drei Ex-Band-FreundInnen Maria, Lotte und Paul verfolgen Lisas Spuren und stolpern bei der Recherche über eine „Prodeutsche Offensive“, die Anschläge auf Asylbewerberheime, Gewerkschaftszentralen und Zeitungsredaktionen vorbereitet. In Utz' Schilderung dieser fiktionalen Organisation als gut organisierte, gewaltbereite, faschistische Struktur zeigt sich eine Analyse, die dem staatlichen Antifaschismus mit seinen Aussteiger-Programmen und Schlingensiefschen Hamlet-Performanzen scheinbar nicht einfällt: Dass Rechtsextremismus ers-tens Opfer fordert und zweitens auf Organisationsformen beruht, die in der landesüblichen, sozialpädagogischen Einzelfallbetrachtung untergehen.

Dass die Romanhandlung durch die Beobachtungen und Aktionen der FreundInnen vorangetrieben wird, erweist sich bei der Darstellung von RechtsextremistInnen jedoch gleichzeitig als ambivalentes Stilmittel. Denn durch die eingeschränkte Perspektive, die einerseits aufgrund ihres psychologischen Scharf- und Feinsinns größtes Vergnügen bereitet, wird andererseits ein bestimmter Radius des Betrachtens und Erlebens nicht überschritten. In gewisser Weise bleiben die Charaktere in ihrer Lebenswelt verhaftet; sie kommen nur durch Zufall mit zwei FaschistInnen in Berührung. Daher entsteht eine Kluft zwischen abs-trakter faschistischer Struktur und konkreten Nazis, die sicherlich durch einen Handlungsstrang zu schließen gewesen wäre. Aber vielleicht ist es auch gut, noch einen Wunsch offen zu haben – bei einem Buch, das ansonsten bestechend schön geschrieben ist.

Lesungen: morgen (mit Anne Otto), 21 Uhr, Schilleroper, danach Musik von DJ Blomski Beat; und Do, 20.9. (mit Paula Paranoia), 20 Uhr, Frauenmusikzentrum, anschließend Musikprogramm

Birgit Utz: Alte Bande. Berlin: Espresso Verlag, 2001. 18,90 Mark