GröVaz in Bremen

■ Rudolf Scharping strauchelt ins Rathaus: Ein Verletzter, die Presse dreht durch, und Hartmut Perschau versucht verzweifelt, ein bisschen Konversation zu machen

Als Rudi beim Radfahren auf den Kopf fiel, war die Welt fast noch in Ordnung. Dann kam die Sache mit der Troika: Rudi S. schritt stolz voran, die Schlawiner Oskar L. und Gerhard S. grinsend hintendrein. Und was für eine schöne Zeit, als die „Titanic“ herzzerreißende Comics mit Oskar, dem Strolch, Ossibär Wolfgang T. und, Rudi, dem Männlein mit dem Ziegenbart, veröffentlichte. Motto: „Versucht, Ziege zu wählen!“

Doch die Menschen wollten Politik ohne Bart, die 94er Bundestagswahl ging voll in den Keller und Frechdachs Oskar stürzte Rudi hinterrücks. Trotzdem wurde er GröVaz, der größte Verteidigungsminister aller Zeiten. Und jetzt das: Planschereien, Flugzeuge zwischen Berlin, Mallorca, Frankfurt und in Rudis Bauch.

Mal ehrlich: Kaum eine Sau hätte sich normalerweise für ihn und den großen 37. Kapitänstag am Freitagabend im Bremer Rathaus interessiert. 300 Gäste (darunter dreimal „Begleitung Bundesminis-ter Scharping“, aber die Gräfin blieb daheim) und großes Fressen mit Mango Chutney, Shrimps, Beck's und einem 99er Oberbergener Baßgeige. Aber jetzt warten alle auf den Überflieger, der per Luftwaffe direkt aus Skopje in Bremen landen sollte.

„Scharping, lass die Hose runter: Make love not war“, steht auf Plakaten des Bremer Friedensforums. Die Kriegsgegner postieren sich um den Eingang des Rathauses, davor und drinnen lauert die Jounaille. Teams von SAT.1, RTL, ZDF, NTV, ARD und taz hecheln dem Moment der Momente entgegen: Rudis vielleicht letzte Worte.

19 Uhr. Rudi S. dürfte gerade gelandet sein. Die Pressemeute ist nervös: Tritt er erst nach der Niedersachsen-Wahl am Sonntag zurück? Oder heute, nach seinem Auftritt vor dem Verteidigungsausschuss? Oder etwa - das wäre der Scoop gewesen - jetzt gleich, am Freitagabend noch?

19.09 Uhr. Die Pressemeute drängelt, die Friedensbewegten singen: „99 Kriegsminister...“, Regen weicht die Plakate („Schröder, Scharping, Müntefering, Kröning – jeder ein Genosse der Geschosse“) auf. 19.15 Uhr. Noch mehr Unruhe, Senatssprecher Klaus Schloesser witzelt: „Ich trete jetzt zurück“. Keine Lacher.

19.17 Uhr. Polizisten schieben die Protestierenden unsanft zur Seite: Da, der Konvoi! Die Hatz geht los. Scharping sieht gut aus: Grauer Anzug, blaues Hemd, Mallorca-Bräune. Der Pressepulk stürmt auf die zwei Mercedes-Karrossen zu, Mikros recken sich, Rudi S. rennt leeren Blickes schnurstracks aufs Portal zu, strauchelt kurz auf der Treppe, die Reporter prügeln sich fast. Dann Geschrei in der ersten Rathaus-Etage. Rudis Bodyguard schubst einen Kameramann des ZDF zur Seite, der beim Fall den Fotografen Peter Meyer erfasst. Der knallt mit der Backe gegen den großen Kamin: Platzwunde, Riesenpflaster. Meyer will jetzt gegen den Sicherheitsmann vorgehen.

19.28 Uhr. „Es werden keine Fragen beantwortet zu diesem Thema“, heißt es. Daran hält sich auch Bürgermeister Hartmut Perschau (CDU), der nachher sagen wird, Rudi habe „sich gut gehalten“. Also verzweifelte Konversation mit dem Noch-Minister – es ist so kläglich. Scharping hält sich an einem Glas Orangensaft fest, Perschau faselt über den 30-jährigen Krieg und die Wappen im Rathaus. Ein Kapitän fragt „Wie ist die Lage in Mazedonien?“ – „Wir sind auf gutem Wege. Das ist eine vernünftige Entwicklung.“ Rudi-Smalltalk, glasiger Blick ins Nichts. Seine verschränkten Arme sagen: „Ich sag' nix.“. Die Presse kommt nicht durch zu Rudi, schiebt und drückt, der Bodyguard blafft Senatssprecher Schloesser an: „Haben Sie denn hier keine Sicherheitskräfte?“ Schloesser: „Ich kenn' die alle.“

19.35 Uhr. Endlich wird Scharping zum Bankett in die Obere Halle begleitet, wo er eine Rede über Einsparmöglichkeiten bei der Marine halten wird. Die Kameras müssen gehen. Um 19.45 Uhr wird Bild-Chef Kai Dieckmann in Hamburg eine Kolumne von Franz-Josef Wagner aus dem Blatt nehmen, in der er über den Bunte-Autor Paul Sahner schreibt, der habe aus Rudi S. „einen Roy-Black-Verschnitt“ gemacht. Die Bild wird am nächsten Tag „Scharping-Flüge – exclusiv – Die ganze Liste“ titeln. 19.45 Uhr. Klaus Schloesser dreht sich draußen eine Filterlose. „Das war schrecklich.“ Ja, das war schrecklich. Kai Schöneberg