Schönes Spiel eingeäschert

Borussia Dortmund wartet nach dem 0:2 gegen Bayern München seit sechs Jahren auf einen Sieg gegen den Deutschen Meister, der mit einer morbiden Devotionalie das Westfalenstadion verlässt

aus Dortmund ULRICH HESSE-LICHTENBERGER

Im August 1882 verlor England ein Spiel. Das ist zwar schwer vorstellbar, aber schließlich handelte es sich auch nicht um Fußball, sondern um Kricket. Und da kann so etwas mal vorkommen. England unterlag damals Australien, woraufhin eine Londoner Zeitung per Annonce den Tod des englischen Krickets bekanntgab und hinzufügte, man habe den Leichnam eingeäschert und die Überreste den Siegern mitgegeben. Im Jahr darauf reiste das englische Team zur Revanche nach Australien, und dem Kapitän Ivo Bligh wurde eingeschärft, er habe unter allen Umständen „die Asche nach Hause zurückzubringen“. Seitdem spielen die beiden Länder regelmäßig um den Besitz einer kleinen Urne („Ashes“).

Auf diese ergreifende Geschichte bezog sich die englische Zeitung, die vor einer Woche ein Bild von Oliver Kahns brennenden Handschuhen und eine Todesanzeige für den deutschen Fußball abdruckte. Was hauptsächlich deshalb zu Verstimmungen führte, weil man hierzulande weder Ahnung von Kricket noch einen Sinn fürs Morbide hat. Dabei gibt es doch mittlerweile eine treudeutsche Version der „Ashes“, und sogar im Fußball. Am Wochenende unterlag nämlich Borussia Dortmund dem FC Bayern mit 0:2 (0:1), und wenn der BVB im Frühjahr zum Rückspiel nach München reist, dann möchte man dem Trainer zurufen: „Herr Sammer, bringen Sie endlich die Asche zurück!“

Seit nunmehr sechs Jahren und zwölf Ligaspielen versuchen sich die Borussen an einem Sieg über die Bayern. In dieser Zeit haben sie gerade neun Tore gegen die Münchner erzielen können, und beim letzten Aufeinandertreffen, im April, fiel sogar keines, als der Gegner zwei Mann weniger auf dem Platz hatte. Trotzdem mochte man da noch nicht vom Tod der Dortmunder Hoffnung in diesem besonderen Duell sprechen, denn die soll angeblich zuletzt sterben. Seit Samstag aber ist es Zeit für Grabreden. Der BVB unterlag nämlich mit seiner besten Elf seit Jahren einem FC Bayern, der vor der Partie an sich zweifelte. Das konnte man später heraushören, als Oliver Kahn von einer „taktischen Meisterleistung“ sprach, als Trainer Ottmar Hitzfeld seine Analyse um die belasteten Schlüsselwörter „kompakt“ und „konzentriert“ herum aufbaute und dann nur von den „Stärken des Gegners“ sprach, die man „nicht zur Geltung kommen lassen“ wollte. Man konnte es auch schon vor dem Anpfiff ahnen, als die Bayern ohne Claudio Pizarro und Giovane Elber aufliefen, dafür auf Carsten Jancker und Roque Santa Cruz vertrauten, also auf, so Hitzfeld, „Stürmer, die laufstark sind, Bälle halten und einfach spielen“. So rutschte auch der Einfachspieler Thorsten Fink in die Bayern-Elf, der prompt eine starke Partie bot und mehr Pässe abfing als jeder Zollbeamte Schmuggelware im Laufe eines Berufslebens.

Selten kam einem ein Fußballplatz so klein vor wie an diesem Nachmittag, an dem die Bayern mit zwei Viererketten alles zustellten, was man für Raum hätte halten können. „Wir haben wie Liverpool gespielt“, sagte Bixente Lizarazu später. „Hinten geordnet, vorne auf Konter lauernd.“ Letzteres aber war die Ausnahme. Nie rückte die Abwehr auf, kaum einmal beteiligten sich mehr als drei Bayern an einem Angriff. Passen und Stehen, so hieß das Motto im Mittelfeld. Aber, und da wird es Zeit für Trauerarbeit, trotzdem gewann der Meister. „Wir wollten immer das goldene Ei legen, anstatt einfach zu spielen“, sagte Matthias Sammer. Und ebendiese Unfähigkeit, die Idee des Zauberfußballs der letzten Wochen aufzugeben, brach den Borussen das Genick. Es wäre ein Nachmittag für professionelles, technokratisches Ballgeschiebe gewesen, aber als der BVB das erkannte, war es schon zu spät.

Tomas Rosicky verfehlte einen Steilpass, und zum ersten Mal näherten sich Lizarazu und Ciriaco Sforza dem gegenerischen Strafraum. Hasan Salihamidzic gab den ersten und einzigen Bayern-Torschuss der ersten Hälfte ab, und es stand 0:1 (22.). In der zweiten Hälfte versuchte Marcio Amoroso einen Beinschuss, und dieser Ballverlust führte zum 0:2 durch Santa Cruz (58.). Die Bayern hatten aus vier Chancen zwei Tore gemacht, der BVB fand mit einem Dutzend Fernschüssen oder Kopfbällen von Jan Koller nicht das Ziel. „Man kann von Bayern viel lernen“, schmunzelte Lizarazu ein klein wenig höhnisch, nachdem seine Elf eindrucksvoll gezeigt hatte, wie man schönen Fußball zu Grabe trägt. Neben ihm belud der Zeugwart den Bayern-Bus, und er hatte bestimmt eine gut gefüllte Urne in der Tasche.

Borussia Dortmund: Lehmann - Evanilson, Wörns, Kohler (70. Bobic), Dede - Reuter, Ricken, Oliseh - Rosicky - Koller, Amoroso FC Bayern München: Kahn - Kuffour, Sforza (46. Hargreaves), Linke - Sagnol, Fink, Niko Kovac, Lizarazu - Salihamidzic, Jancker (79. Pizarro), Santa Cruz (79. Thiam) Zuschauer: 68.600, Tore: 0:1 Salihamidzic (22.), 0:2 Santa Cruz