NICHT JEDE STRECKE DER DEUTSCHEN BAHN IST ERHALTENSWERT
: Kein Artenschutz für Bummelzüge

Jetzt werden sie wieder protestieren: die Landräte, die Bürgermeister, Bahn-Enthusiasten und auch so mancher ostdeutsche Minister. Die Deutsche Bahn AG plant eine deutliche Verringerung des Angebots im Nahverkehr. Insbesondere in Ostdeutschland sollen ganze Strecken eingestellt werden und die Kunden künftig auf Busse umsteigen. Anstatt die maroden Strecken endlich zu reparieren, werden mit der Stilllegung vollendete Tatsachen geschaffen. Ein Skandal erster Güte? Oder schlichte Betriebswirtschaft? Festzuhalten bleibt zunächst, dass diejenigen, die da protestieren, selbst in aller Regel zuletzt vor fünfzehn Jahren mit dem Bummelzug gefahren sind. Das alleine wäre freilich noch kein Grund, ihnen unlautere Motive vorzuwerfen. Doch auch der gemeine Einwohner mag nicht mehr Fahrgast sein, wenn der Zug mit der mittleren Geschwindigkeit eines Fahrradfahrers über Berg und Tal rollt.

Angesichts reparaturbedürftiger Strecken und fehlender Bahnfahrer stellt sich bei den ostdeutschen Nebenbahnen die grundsätzliche Frage, warum eine Eisenbahnstrecke aus prinzipiellen Gründen erhaltenswert sein soll. Busse sind – wenn sie denn fahren – meist schneller als der Zug. Eine Grundsanierung der Strecke kann einen zweistelligen Millionenbetrag kosten, ohne dass jemals absehbar ist, wann dieses Geld durch erhöhte Fahrgastzahlen jemals wieder eingespielt wird. Im Westen Deutschlands sind Strecken, um deren Erhalt es jetzt im Osten geht, schon vor zehn, zwanzig oder dreißig Jahren mangels Fahrgästen eingestellt worden. Natürlich hat die Bahn damals auch Fehler gemacht und manche Linie abgebaut, auf der sich der Betrieb nach einigen Investitionen gelohnt hätte. Natürlich steht zu befürchten, dass die Bahner auch im Osten diesen Fehler wiederholen und mit der Sense durch das Netz gehen. Aber prinzipiell kann es keinen Artenschutz für Eisenbahnstrecken geben, auch wenn damit hübsche Viadukte funktionslos werden. Und der Bahn AG, die bekanntlich nicht als Sozialunternehmen fungieren soll, ist es schon gar nicht vorzuwerfen, wenn sie dort nicht mehr fahren will, wo sich kaum noch fahren lässt und kaum noch jemand fahren will.

Auch für den Nahverkehr gilt, dass Geld eine begrenzte Ressource bleibt. Es gibt viele stark befahrene Nebenbahnen, die dringend saniert werden müssen. Es existieren sogar manche Linien, deren Wiederaufbau lohnen könnte. Und es wäre tödlich für die Bahn, wenn sie sich nur noch auf Hochgeschwindigkeitsstrecken konzentrieren und die Fläche dabei vergessen würde. Aber die Krokodilstränen für Bahnstrecken, auf denen täglich noch 120 Fahrgäste dahinschaukeln, sind so überflüssig wie eine Bahnsteigkarte. KLAUS HILLENBRAND