Toleranz überschätzt

■ Kultursenatorin Christina Weiss über finanzpolitische Perspektiven und die ewige Schauspielhaus-Debatte

Sie hat in den vergangenen Monaten massiv Prügel eingesteckt; Fehlbesetzung und Mängelverwaltung wurden ihr vorgeworfen. Trotzdem steht Kultursenatorin Christina Weiss (parteilos) zum Schauspielhaus-Intendanten Tom Stromberg und blickt – vorausgesetzt, Rot-Grün überlebt den 23. September – optimistisch auf die künftigen Kultur-Finanzen. Wir fragten nach Konkreta.

taz hamburg: Frau Weiss, zunächst ein bisschen Wahlkampf-Analyse: Wie beurteilen Sie Herrn Schills Forderung, Künstler sollten sich politisch neutral verhalten?

Christina Weiss: Künstler können und sollen sich nicht neutral verhalten. Ihre Rolle ist es, Ambivalenzen der Realität aufzudecken. Einem Künstler, der schweigt, müsste man gravierende Indifferenz vorwerfen.

Kommen wir zur Kulturpolitik: Ein Dauerbrenner sind die Hamburger Öffentlichen Bücherhallen (HÖB), die schon etliche Standorte geschlossen haben. Wie wollen Sie die Finanzierung der HÖB dauerhaft sichern?

Weiss: Bislang mussten wir dafür sorgen, dass die HÖB aus den roten Zahlen kamen. Das ist in den vergangenen zwei Jahren gelungen, die Finanzen sind ausgeglichen. Zusätzlich wurden in allen Filialen Internet-Anschlüsse installiert, in Kürze wird das neue Internet-Portal der HÖB eröffnet.

Können Sie zusichern, dass es in den nächsten Jahren – so Rot-Grün die Wahl überlebt – keine weiteren HÖB-Standortschließungen geben wird?

Weiss: Solche Wahlkampfversprechen wären angesichts unvorhersehbarer Haushaltsentwicklungen der Stadt unsolide. Aber zurzeit sind keine Schließungen geplant.

HÖB-Chefin Hella Schwemer-Martienßen fordert seit Jahren Mittel für ein neues Haus. Wird es mit Ihnen eine Koalitionsvereinbarung dazu geben?

Weiss: Konkretes kann ich noch nicht sagen, aber es gibt eine Vision im Zusammenhang mit der Neubelebung des Domplatzes. Dort wäre in ferner Zukunft ein Neubau für eine HÖB-Zentrale denkbar.

Dezentral organisiert sind die stark unter Finanzdruck stehenden Stadtteilkulturzentren. Die Mitarbeiter sind am Ende ihrer Kräfte. Wie wollen Sie die Finanzierung der Zentren dauerhaft sichern?

Weiss: Den besonders stark betroffenen Zentren in Billstedt und Bergedorf haben wir ja jüngst mit Investitionsmitteln geholfen, die – wie in Billstedt durch Ausbau der Gastronomie – Eigeneinnahmen steigern helfen sollen. Und nach Abschluss der Haushalts-Konsolidierungsphase wird es – ab 2002 – mäßige Erhöhungen geben.

Sind die finanziellen Probleme Indikatoren für Grundsätzlicheres? Hat sich das Modell „Stadtteilkultur“ überlebt?

Weiss: Nein. Das Stadtteilkultur-Modell wird noch lange leben. Länger als wir. Aus dem anfänglichen Basisengagement ist allerdings inzwischen Professionalität geworden.

Aber die Bürger fühlen sich angesichts des zunehmenden finanziellen Drucks allmählich in ihrem Engagement überstrapaziert.

Weiss: Mein Eindruck ist, dass das z. B. für das Goldbek-Haus, das jetzt sein 20-jähriges Bestehen feierte, nicht gilt. Die Beteiligten sind begeistert und haben ein ganz neues Zentrum geschaffen.

Reden wir über Theater: Die aktuelle Diskussion suggeriert, dass derzeit zwei extreme Tendenzen existieren: Biedertheater und Avantgarde. Fällt hier nicht ein Teil der Gesellschaft durch die Maschen?

Weiss: Ich sehe diese Schere auch – eigentlich sogar drei Tendenzen: die Sehnsucht nach traditionellem Sprechtheater, die Fun-Schiene und die Avantgarde.

Vermissen Sie im aktuellen Theater politische Themen?

Weiss: Nein. Theater soll nicht an aktuellen Themen kleben, sondern Grundstrukturen aufzeigen. Das ist für mich hochpolitisch. Und die Auseinandersetzung etwa mit der EU ist einfach zu langweilig für das Theater.

Apropos Schauspielhaus: Aus der Kulturbehörde verlautet, dessen Einnahmen bewegten sich innerhalb der Budget-Erwartungen. Das klingt nach verordneter Bescheidenheit.

Weiss: Ganz und gar nicht. Das ist doch sturznormal, dass alle drei Häuser – Schauspielhaus, Thalia-Theater und Staatsoper – ihren Wirtschaftsplan einhalten. Bedingung ist, dass es keine Überschreitungen im Ausgabenbereich, wohl aber im Einnahmenbereich geben darf. Letztere hat Ex-Intendant Frank Baumbauer erwirtschaftet, sodass Stromberg jetzt Experimentierraum hat.

Haben Sie bei der Besetzung der Schauspielhaus-Intendanz eigentlich die Offenheit des Hamburger Publikums überschätzt?

Weiss: Ich glaube schon. Ich hatte Strombergs Arbeit ja zehn Jahre lang am Frankfurter TAT beobachtet. Es war ein gut besuchtes Haus mit erstklassigem Programm. Da konnte ich nicht erwarten, dass es in Hamburg solche Reaktionen geben würde. Hauptgrund war wohl der missglückte Spielzeitbeginn.

Hat der „Gegenentwurf Theater“ noch Zukunft, wenn man bedenkt, dass Alltag immer mehr zur Inszenierung wird? Oder könnte Theater irgendwann eine Enklave authentischen Erlebens werden?

Weiss: Möglicherweise. Jan Lauwers' und Jerome Bels Provokationen – Lärm bzw. Schweigen – wären dann wichtige Schritte in diese Richtung.

Zurück zum Konkreten: Der Hamburger Kulturetat beträgt derzeit 2,1 Prozent des Gesamthaushalts. Was wollen Sie tun, um den Kulturetat zu erhöhen?

Weiss: Aufgrund der bisherigen Konsolidierungsbemühungen ist der Haushalt in Ordnung, sodass es in den kommenden Jahren maßvolle Erhöhungen geben kann. Schon im Haushalt 2002 sind 600.000 Mark zusätzlich für Privattheater eingestellt.

Wird es mit Ihnen einen neuen Verteilungsschlüssel für die Theater geben?

Weiss: Umverteilungen schließe ich aus. Darüber hinaus will ich nichts versprechen. Denn niemand weiß, wie sich der Hamburger Haushalt entwickeln wird.

Interview: Petra Schellen