Ohne Charisma, ohne Pepp

■ LokalpolitikerInnen mit zu wenig Ausstrahlung, zu wenig zündenden Themen kassierten beim Wahltag in Niedersachsen die Quittung

Die FDP sieht sich „beflügelt“, die CDU als „Wahlsieger“, die SPD ist nicht, die Grünen „überhaupt nicht zufrieden“. Dabei haben bei der Kommunalwahl in Niedersachsen bis auf die FDP (sie holte 100.000 Stimmen mehr) alle großen Parteien Wähler verloren: Nur 56,2 Prozent der 6,34 Millionen Wahlberechtigten fanden am Sonntag den Weg zu den Wahllokalen. 1996 waren es noch 64,5, in den Siebzigern sogar noch über 90 Prozent gewesen.

Noch streiten sich die Politikwissenschaftler, ob das denn überhaupt so schlimm sei. Auf der einen Seite stehen diejenigen, die in der Annäherung an US-amerikanische Verhältnisse eine Normalisierung des Wählerverhaltens sehen: Der Gang zur Urne wird von Otto Normalwähler demnach nicht mehr als zwingend notwendig angesehen, da die Institution Demokratie gefestigt scheint. Auf der anderen Seite stehen jene, die sagen, der Sieg der Nichtwähler sei Ausdruck der wachsenden Distanz des Bürgers zur Politik.

„Ich bin da nicht eindeutig entschieden“, betont der Bremer Politikwissenschaftler Lothar Probst. Die Gründe fürs niedersächsische Urnenveto kennt er schon. „Es fehlt auf kommunaler Ebene an zündenden Themen. Reißer gibt es nicht“, meint Probst. Hohe Wahlbeteiligung gebe es nur bei stark polarisierenden Persönlichkeiten oder Themen. „So bei der Bundestagswahl zwischen Strauß und Schmidt, auch 1998 bei Kohl und Schröder gingen die Zahlen hoch“, erläutert Probst.

Lokalpolitiker ohne Charisma und Programme ohne Pepp schrecken nicht nur Niedersachsen ab. Probst: „Einerseits konnte der Wähler früher die Parteien stärker voneinander abgrenzen, andererseits gibt es in der Kommunalpolitik auch nicht viel zu verteilen.“

Personalisierung, Professionalisierung, Polarisierung – das sind die drei P, die den Wahlkampf der Zukunft bestimmen. Mit seiner Kampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft hätte Roland Koch (CDU) in Hessen so genannte „Last-Minute-Wähler“, bis zuletzt Unentschlossene, für sich gewinnen können, meint Probst. „Harte“ Themen wie innere Sicherheit seien letztlich oft wahlentscheidend. Das sehe man auch am Rechtspopulisten Ronald Schill in Hamburg. Probst meint, dass auch Mitte-links-Parteien diese Themen besetzen müssen: „Die Grünen sollten sagen, dass die Schulen Orte sind, wo Gewalt und Erpressung nicht hingehören.“

Aber: Nicht nur die Schills und Haiders können punkten, auch „Bremens Bürgermeister Henning Scherf sagt: ,Ich bin ein linker Populist' und kennt jede Oma im Viertel“, erzählt Politikwissenschaftler Probst. Tipp des Politologen: Politiker sollten „volkstümlich, aber keine falschen Opportunisten sein. Politik ist auch das Symbolhafte. Wer auf dieser Klaviatur zu spielen versteht, hat Chancen.“ Aber, so Probst, „die Show kann auch danebengehen – das hat man an Scharping gesehen.“

Vorläufiges amtliches Endergebnis: CDU 42,6 Prozent (plus 0,9 im Vergleich zur Kommunalwahl 1996), SPD 38,6 (minus 0,1), Grüne 6,7 (minus 2,3), FDP 6,2 (plus 1,6).

Uralt-Oberbürgermeister Herbert Schmalstieg (SPD) erringt mit 51,0 Prozent direkt den Wahlsieg vor seiner CDU-Konkurrentin Rita Pawelski (39,8 Prozent) in Hannover.

SPD-Bürgermeister sind auch in Osterholz-Scharmbeck und Lüneburg erfolgreich. In Oldenburg hat die SPD bei der Stichwahl am 23. September gute Ausgangschancen. Schmerzhafte Niederlagen gab's dagegen in Braunschweig, Cuxhaven und ihrer Hochburg Emden – hier verlieren die Sozialdemokraten 16,5 Prozent.

Die CDU erreicht in Cloppenburg mit 73,8 Prozent ein Rekordergebnis. Die Grünen sacken im Landkreis Lüchow-Danneberg von 16,1 auf 4,7 Prozent ab.

Kai Schöneberg