Rock sei‘s geklagt

Das Leiden an der Rockmusik: Steve Albini spielt mit seiner Band Shellac im Maria

Bringen wir es hinter uns: Ja, Steve Albini ist Produzent. Er hat die Pixies, PJ Harvey, Nirvana, Jon Spencer und jeden Langhaarigen aus Seattle im Aufnahmestudio ins Schwitzen gebracht. So viel Ruhm hat er angehäuft, dass ihn sogar Led Zeppelin für ihr Comeback engagierten.

Hier aber geht es um Steve Albini, den Musiker. Shellac heißt seine Band. Eine Rockband, die eine herbe, trockene, spartanische, verquer groovende Musik spielt. Musik, die ihre Strukturen zerlegt und ausstellt und die Teile dann achtlos liegen lässt, weil da drüben wieder was ungesund funkelt unter einer dicken Schicht Staub.

Albini gründete Shellac 1993, um fortzuführen, was er einst mit Bands wie Big Black und Rapeman angefangen hatte. Seine Idee von Musik verwirklichen und nur seine Idee. Geld verdiente er schließlich anderweitig. Keine Kompromisse, keine Fiesematenten. Gitarre, Schlagzeug, Bass. Musik, die rockt, aber deutlich hörbar am Rock leidet. Musik, die, so selbstverliebt sie ist, sich nicht mit sich wohl zu fühlen scheint. Musik, die sich nicht öffnet. Musik, die vielleicht gar nicht verstanden werden will.

Noch einmal zurück zu Albini, dem Produzenten. Sein ständig in Interviews hergebetetes Mantra, dass er kein Produzent sei, sondern nur Toningenieur, ist natürlich Koketterie und Humbug. Einerseits. Andererseits wahr. Denn der beste Rock-Produzent ist der, der einer Rockband das Gefühl gibt, den altbekannten Krach gerade neu zu erfinden. So wird aus einer guten Band die augenblicklich beste Band der Welt. Mit diesem Gefühl lassen sich Berge versetzen. Oder zumindest klasse Rockscheiben aufnehmen. Robert Plant beschrieb es anders: Albini stehe „für einen ehrlichen, aufrichtigen Sound“. Na, wenn das nicht Rock ist!

Der Rock von Shellac aber lässt einen in der Schwebe und nicht zu nah an sich heran. Kratzbürstig fährt er die Ellenbogen aus, wenn nur ein Hauch Kuscheligkeit droht. So wie der Protagonist aus „Prayer To God“, dem ersten Song der letzten Shellac-LP „1000 Hurts“, der zu Gott betet, Hilfe sucht, sein Leid klagt und schließlich um die Ermordung seiner Exfreundin und deren neuen Lover bittet: „Just fucking kill them!“

Trotz aller Wut merkt man der Rockmusik von Shellac das Alter der Musiker an, die sie hervorbringen. Vor allem ihr Bemühen, dieses Alter keine Rolle spielen zu lassen und ihre Altersweisheit zu vertuschen. Ein absurdes Bemühen, aus dem schnell Paranoia erwachsen kann. Auch die kann man hören. Allerdings eine seltsam altvertraute Paranoia.

Aber: Einer, der nur zu gut weiß, dass großer Rock die immer wiederkehrende Heraufbeschwörung jenes ersten, einmaligen Entjungferungsgefühls ist, so einer kann sich schwer wohl selbst in diesen Gefühlszustand versetzen, noch einmal unschuldig großen, mächtigen, unschuldigen Lärm zu machen. So einer ist Albini. Und so einer muss dann so verlorene, so großartig an sich selbst leidende Musik machen. THOMAS WINKLER

Heute, ab 22 Uhr, Maria am Ostbahnhof, Straße der Pariser Kommune