Wir basteln uns einen Flughafen

Großflughafen, Drehkreuz, Regionalairport? Der von Manfred Stolpe entfachte Namensstreit ist beendet. In Schönefeld soll ein „secondary hub“ entstehen – ein Drehkreuz zweiter Kategorie. Der drittgrößte Flughafen nach Frankfurt und München

von ROLF LAUTENSCHLÄGER
und RICHARD ROTHER

Der Größenwahn

Preisfrage: Wie baut die Region einen Flughafen, den sie wirklich braucht? Sie streitet um Worte. Erst sollte es ein „Großflughafen“ werden, dann ein „Internationales Luftdrehkreuz“, dann hieß es schlicht „Internationaler Verkehrsflughafen“ mit oder ohne „Drehkreuzfunktion“. Brandenburgs Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) hat den Sprachenstreit jetzt losgetreten – Großflughafen erinnere ihn an Größenwahn. Und der ist – Olympiabewerbung, Bankgesellschaft – wahrlich kein Einzelfall in der Berliner Nachwendegeschichte. Allerdings glauben selbst die Flughafenplaner schon lange nicht mehr daran, in Schönefeld mit Paris, London oder Frankfurt zu konkurrieren. Egal wie das Kind letztlich heißt – geplant wird mit zunächst 20 Millionen Fluggästen pro Jahr – das ist realistisch. Großflughafenfans kommen dennoch auf ihre Kosten: Schönefeld ist schrittweise ausbaufähig, bei Bedarf für bis zu 60 Millionen Passagiere.

Der Kleingeist

Wer derzeit von Berlin startet, hebt von drei national wie international unbedeutenden Flüghäfen ab. Bei 13,3 Millionen Fluggästen 2000, die sich auf Tegel (10,6 Mio), Schönefeld (2,2 Mio) und Tempelhof (500.000) verteilen, kann von Drehkreuz keine Rede sein. Nur knapp 3 Prozent der aktuellen Fluggäste steigen in Berlin um: Mehr sind es in Saarbrücken auch nicht. Umgekehrt beläuft sich der Anteil der Reisenden, die von Berlin nach Nordamerika oder Asien jetten und umsteigen müssen, auf fast 100 Prozent (lässt man den Direktflug nach Washington einmal außen vor). Wer etwa nach Peking möchte, wird über Frankfurt, Schiphol oder Helsinki weitergereicht und ist im Durchschnitt mehrere Stunden länger in der Luft als direkt von Berlin. Nach New York checkt man am besten gleich in Frankfurt ein, und Richtung Buenos Aires muss man über Madrid, Frankfurt, London oder Amsterdam. 12.900 Beschäftigte arbeiten verteilt auf den drei Flughäfen, 70 Fluggesellschaften sind dort ansässig und mit 345 Millionen Mark Umsatz in 2000 kommen die staatlichen Flughafenbetreiber auf keinen grünen Zweig.

Die Konkurrenz

„Drehkreuze“ sehen anders aus: Frankfurt am Main plant derzeit seine vierte Startbahn und peilt ab 2005 rund 60 Millionen Passagiere jährlich an. Derzeit heben 50 Millionen Fluggäste mit 120 Airlines ab, davon bildet der Umsteigeanteil über 45 Prozent; Tendenz steigend. 62.000 Beschäftige hat der „größte Arbeitgeber“ im Rhein-Main-Gebiet, der 2000 einen Umsatz von 2,6 Milliarden Mark erwirtschaftete. Zweites Drehkreuz der Republik ist München mit 23 Millionen Fluggästen (2000) und einem Umsteigeanteil von über 30 Prozent. München hat heute Steigerungsraten von 8 Prozent. Für 2010 sind 45 Millionen Passagieren anvisiert, das zweite Terminal ist schon im Bau. Der Umsatz von 1,1 Milliarden Mark heute soll verdoppelt werden, ebenso die Zahl der Arbeitsplätze auf dann 40.000.

„The secondary hub“

Berlin baut sich in Schönefeld ein kleines Drehkeuz zweiter Ordnung, „ein secondary hub“, erklärt Burkhard Kieker, Sprecher der Flughafenplanungsgesellschaft. Der Single-Airport mit zwei Startbahnen und einer Kapazität für rund 20 Millionen Passagiere ab 2007 wird zugleich Umsteigeluftbahnhof in einer Dimension von 17 Prozent für Airlines aus Asien, Osteuropa und Südosteuropa. So verringert sich beispielsweise die Flugzeit nach Ostasien hin und zurück um etwa zwei Stunden. Ausbaufähig für bis zu 30 Millionen Passagiere im Jahr 2030 hebt auch der Arbeitsmarkt vor Ort ab. 2010 jobben hier 20.000 Beschäftigte, Prognosen ermitteln zusätzlich „indirekte“ Arbeitsplätze für 50.000 Menschen. Das Ost-West-Drehkreuz soll dann auch Frankfurt Passagiere abziehen. Airlines etwa in die USA finden dadurch in Berlin einen Markt, über 100 Fluglinien docken in Schönefeld an.

Das Geld

Wenn die Region einen Flughafen will, muss sie bald klären, wer ihn bauen soll. Das Privatisierungsverfahren ist mehrfach gescheitert. Die übrig gebliebenen Interessenten Hochtief und IVG haben jetzt ein Angebot vorgelegt, das der Grünen-Verkehrsexperte Michael Cramer als „unsittlich“ bezeichnet. 50 Millionen Mark sollen sie geboten haben für einen Airport, der auf Jahre eine Goldgrube sein könnte – zumal allein die Gewinne des Flughafens Tegel und die geplante Fluggastgebühr jährlich fast eine halbe Milliarde Mark einbringen dürften. Jetzt gibt es drei Varianten: Der Senat handelt ein deutlich besseres Angebot heraus, er schreibt das Projekt neu aus, oder die öffentliche Hand baut doch selber. Ganz unrealistisch ist Letzteres nach Ansicht des SPD-Verkehrsexperten Christian Gaebler nicht. Weniger als eine Milliarde Mark müsste das bankrotte Berlin investieren – man gönnt sich ja sonst nichts. Andererseits eine durchaus lohnende Investition in die Zukunft, und möglicherweise ist sie sogar alternativlos: Wenn die Privatinvestoren ohnehin alle Risiken bei der öffentlichen Hand belassen und nur die Gewinne einheimsen wollen, kann die Stadt gleich richtig in die Bresche springen.

Der Zeitdruck

Der Ausbau Schönefelds zu einem Berliner Flughafen, der internationalen Standards entspricht, erfordert selbstverständlich einen ordentliches Planfeststellungsverfahren. 130.000 Einwendungen betroffener Anwohner wollen berücksichtigt werden, Zeitverzögerungen sind nicht auszuschließen. Schon jetzt rechnen Experten erst für Ende 2003 mit einem gerichtsfesten Planfestellungsbeschluss. Erst danach kann mit dem Bau begonnen werden, der Fertigstellungstermin 2007 wackelt bereits. Auf ein paar Monate früher oder später kommt es allerdings nicht an. Fakt ist: Wenn Schönefeld nicht gebaut wird, bleiben die ungeeigneten Flughäfen Tegel und Tempelhof offen. Vom dortigen Fluglärm sind rund 400.000 Anwohner betroffen – am südöstlichen Stadtrand weniger als 100.000.

Die Luftschlösser

Als Alternative zu Schönefeld kommt immer wieder der Flughafen Stendal in der sachsen-anhaltischen Altmark ins Gespräch. Der allerdings ist zu weit weg, die Verkehrsanbindung zu teuer. Das wichtigste aber ist die politische Voraussetzung: Berlin, Brandenburg und der Bund müssten zustimmen. Das werden sie aber nicht, weil Berlin und Brandenburg die Arbeitsmarkteffekte vor Ort behalten wollen und der Bund keine teure Autobahn finanzieren will. Unrealistisch ist auch Sperenberg – seit dem Konsensbeschluss ist einfach zu viel Zeit verstrichen. Wer diese Diskussion beginnt, erhält den Status quo – mit Tegel und Tempelhof.

Schöne Aussichten

Mit der Eröffnung (2007) von Schönefeld als internationalem Flughafen mit Ausbaupotenzialen schließen die innerstädtischen Flugplätze in Tegel und Tempelhof endgültig. Sie sind Geschichte der Berliner Luftfahrt: Tempelhof als erster Verkehrsflughafen Berlins und Landeplatz für alliierte Rosinenbomber in der Zeit des Kalten Krieges. Tegel als moderne Starbahn Westberlins. Während Tegel zum größten Teil renaturiert wird, wird Tempelhof zu einem neuen innerstädtischen Park entwickelt für die Anwohner Neuköllns, Tempelhofs und Kreuzbergs. An der Peripherie des einstigen Flugfeldes entstehen neue Wohnbauten und Arbeitsstätten. Das große Flughafengebäude mit seinen Hangars wird Flugzeugmuseum, Themenpark oder Winterquartier für die Kicker von Hertha BSC.